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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus
Autoren: Dirk C. Fleck
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seiner Garderobe zu verschanzen. Das Briefing vor der Sendung hatte bereits ohne ihn stattgefunden, was ein erhebliches Risiko barg, wenn man live ins Netz ging.
    Shark saß aufrecht auf dem Klavierschemel, den er sich letzte Woche von zu Hause mitgebracht hatte, und starrte in den Spiegel, als wollte er sein Bildnis dort für immer fixieren. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als Steve den Raum betrat, er blickte auch nicht auf, als Steve hinter ihn trat und ihm den Nacken massierte. Obwohl sie von sehr unterschiedlichem Temperament waren, hatte es zwischen ihnen bisher noch nie Schwierigkeiten gegeben. Sie waren ein eingespieltes Team. Diesmal allerdings fühlte sich Steve alleingelassen. Shark war auf eindringliche Weise abwesend. Also setzte er sich in den Sessel, den sein Freund gegen den Schemel ausgetauscht hatte, und ignorierte wie dieser die Rufe, welche den Moderator durch die Tür aufforderten, auf der Bühne zu erscheinen. Einer solchen Aufforderung hätte es nicht bedurft. Die Unruhe, die das Publikum versprühte, hatte auch sie längst erreicht.
    Shark atmete tief durch, lockerte die Schultern und sah Steve ernst an.
    »Wir können so nicht weitermachen«, sagte er, während er die Schultern weiterhin kreisen ließ.
    »Was meinst du?«, fragte Steve. »Sie können uns nichts anhaben. Sie haben es versucht, aber immer wenn sie uns von einem Server verbannt haben, sind wir auf zehn anderen gelandet. Schon mal was von Hackerethik gehört?«
    Shark schien ihm nicht zuzuhören. »So können wir nicht weitermachen«, sagte er wie zu sich selbst und erhob sich. »Das ist dir doch hoffentlich klar …«
    Nichts war ihm klar. Außer dass Shark schnurstracks und kampfeslustig auf die Quelle des Lärms zuging, der in wenigen Sekunden, wenn er die Bühne betrat, zu einer wahren Schreiorgie anschwellen würde.
    »GO! – Eine Show um Leben und Tod, über Langzeitfolgen und das Kurzzeitgedächtnis. Eine Show, die auch für jene Generationen spricht, die sich in Zukunft auf verbrannter Erde einzurichten haben. Eine Abschiedsshow, ein Nachruf auf den funktionierenden Verbund des Lebens. Eine Verbeugung vor aller Kunst, die seit Menschengedenken herrlichste Narrenfreiheit besaß, solange die Luft rein war. Eine Hommage an Pflanzen und Tiere. Ein Blick zurück auf die kurzen Zeiten des Friedens, auf humanistische Ideale und auf alles, wozu Menschen sich hätten entwickeln sollen. Die GO!-Show: eine einzige drängende Frage, der kein Verantwortlicher entkommt. Eine große dokumentierte Ausrede. Ein vorgezogenes Tribunal. Archiv eines fehlgeleiteten Bewusstseins. Rechnen wir ab. Vielleicht bleibt unterm Strich noch etwas übrig. GO!«
    Cording liebte dieses Intro. Er liebte den Text ebenso wie die Frauenstimme, die ihn aus dem Off vortrug. Der antiquierte Rolltitel, der die Worte weiß auf schwarz abspulte, konterkarierte auf angenehmste Art die überkandidelten Vorspänne, mit denen jedes noch so unbedeutende TV-Format heute auf sich aufmerksam zu machen versuchte. Und natürlich war er auch ein wenig stolz darauf, dass die Idee zu diesem schlichten Einstieg in eine der populärsten Sendungen, die das Internet zu bieten hatte, von Steve stammte. Ausgerechnet Steve, der in der Lage war, die sensationellsten Computeranimationen zu schneidern, setzte hier genau auf das Gegenteil. Der Junge war genial.
    Cording unterbrach die Sendung, die erst vor zwei Stunden eingespeist worden war. Er wollte sie in Ruhe genießen, aber dazu bedurfte es einer delikaten Wegzehrung. Frische Kokosstreifen zum Beispiel und Papayasaft. Er ging in den Garten, las eine Nuss vom Boden auf und spaltete sie mit der Machete in zwei Teile. Es hatte Monate gedauert, bis er den Schlag beherrschte. Aber jetzt hatte er es drauf – die Kuppe seines linken Mittelfingers war nicht umsonst gestorben. Während er das Fruchtfleisch in der Küche zerkleinerte, musste er daran denken, dass ihm EMERGENCY TV vor drei Jahren die Redaktionsleitung der GO!-Show angeboten hatte. Er hatte abgelehnt. Das würde ihm heute nicht mehr passieren. Inzwischen hatte er kein Problem mehr damit, sich einzugestehen, dass er auf Dauer nicht paradiestauglich war. Natürlich gab es tausend gute Gründe, dem pervertierten Journalismus den Rücken zu kehren. Aber wenn er sich durch irgendetwas definierte, dann durch seine Arbeit. Ihn drängte es, Zeugnis abzulegen von den ungeheuren Umwälzungen, die den Planeten erschütterten. Hier auf Tahiti kam er sich vor wie eine
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