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Das Südsee-Virus

Das Südsee-Virus

Titel: Das Südsee-Virus
Autoren: Dirk C. Fleck
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den das auf Gewinnmaximierung fokussierte kapitalistische System bis vor Kurzem ja auch im Nordwesten Amerikas sanktioniert und gefördert hatte. Die vier anderen inzwischen unabhängigen Republiken Vermont, Arizona, Alaska und Hawaii hatten zwar Hilfe zugesagt, waren aber einfach nicht liquide genug, um diese Aufgabe zu stemmen. Auf die Unterstützung Kaliforniens konnte er nicht bauen, dafür hatte er sich in letzter Zeit zu kritisch gegenüber den totalitären Tendenzen geäußert, die dort zu beobachten waren. Die einzige Hoffnung, die jetzt noch blieb, war die UNO. Selby war dem Generalsekretär dankbar, dass er trotz der erklärten Absicht, mit der Pacific Republic den URP (United Regions of the Pacific) und nicht den Vereinten Nationen beitreten zu wollen, hergekommen war.
    Sie verließen den West Commodore Way. Über die 36 th Avenue gelangten sie direkt in das Herz Queen Annes. Nach einigen Minuten begann die Motorradeskorte, die Fahrt zu drosseln. Auch der Journalistentross, der ihrer Staatskarosse folgte, hielt sich an das Tempo. Leifur Sigurvinson legte den Hut auf den Schoß und blickte fassungslos auf diese Geisterstadt, in der die weißen Bungalows in Reih und Glied standen wie eine Kompanie beim Appell. Die überschwemmten Vorgärten glitzerten in der Sonne. Überall lagen Kinderfahrräder auf der Seite, dümpelten Gummibälle in Pfützen, steckten Rasenmäher im Schlamm. Die Tische auf den Veranden waren gedeckt, aber für wen? Unter dem schützenden Dach der Hollywoodschaukeln spielte der Wind mit vergessenen Magazinen. Sämtliche Garagen standen offen, ihre Schlünde schienen einen einzigen Schrei zu formulieren.
    In Höhe des überfluteten Magnolia Playfield hielten sie an. Von hier waren es nur noch wenige Schritte bis zur Abbruchkante. Selby und sein Gast stiegen aus. Sprachlos standen sie im Blitzlichtgewitter und blickten in den Abgrund. Southeast Magnolia, einer der schönsten Stadtteile Seattles, war vom Sturm einfach weggerissen worden. Dort unten lagen sie begraben, der prächtige Magnolia Boulevard mit seinen Villen, der Constance Drive und der Viewmont Way. Die Bäume, die hier einmal gestanden hatten, streckten ihre gekappten Wurzeln aus den Schlammmassen, in denen Hunderte freiwilliger Helfer nach Verschütteten gruben. Suchhunde wuselten herum. Sobald einer fündig geworden war, schlug er an. Das Gebell dröhnte den beiden Männern noch in den Ohren, als sie längst wieder Platz genommen hatten in ihrer schalldichten Limousine.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich für diesen Fototermin zur Verfügung gestellt haben«, sagte Selby und legte seinem Gast die Hand auf die Schulter. Die beiden kannten sich gut, und die joviale Geste, die zum Rüstzeug eines jeden amerikanischen Präsidenten gehörte, saß noch immer sehr locker. »Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang, Leifur?«
    »Gern«, antwortete Sigurvinson.
    »Ich habe die Pressevertreter gebeten, uns erst einmal in Ruhe zu lassen. So etwas funktioniert bei uns, wie finden Sie das?«
    »Beachtlich. Ganz beachtlich …«
    »Setzen Sie uns am Ende der Kansas Avenue im Discovery Park ab«, befahl Selby dem Chauffeur.
    Auf der Fahrt dorthin schwiegen die beiden Männer, von denen der eine noch immer zu den mächtigsten der Welt gehörte. Jedenfalls in der Außendarstellung. Wie marode die Vereinten Nationen in Wirklichkeit waren, wie unbeweglich und uneins, vor allem wie pleite – das war dem Generalsekretär natürlich bewusst. Keines der Ziele, die sich die Organisation einmal gesetzt hatte, war auch nur annähernd erreicht worden oder noch umzusetzen. Die Sicherung des Weltfriedens – ein Witz. Nach dem atomaren Präventivschlag der USA gegen den Iran musste auch dem letzten Zweifler klar geworden sein, dass die UN sich wie ein tapsiger Bär auf der Weltbühne bewegten. Die Einhaltung des Völkerrechts – lachhaft, angesichts der sich häufenden Überfälle auf indigene Völker, die ihre natürlichen Ressourcen dem Zugriff der Industriestaaten zu entziehen versuchten. Der Schutz der Menschenrechte – wo fand er statt? Der Internationale Gerichtshof war zu einem Kasperletheater verkommen, das seine Strafen nur noch in Abwesenheit der Angeklagten aussprach. Von den einst einhundertzweiundneunzig Mitgliedstaaten waren gerade mal einhundertdreizehn übrig geblieben. Und von diesen einhundertdreizehn zahlte nur knapp die Hälfte die vereinbarten Pflichtbeiträge, was nicht einmal zur Deckung der Verwaltungsausgaben
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