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Das stille Gold der alten Dame

Das stille Gold der alten Dame

Titel: Das stille Gold der alten Dame
Autoren: Leo Malet
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noch nicht oft
genug hier, um mir ‘n Urteil zu bilden.“
    „Es gibt Tage, an denen ich’s hasse. Und
dann wieder nicht Sie legte ihre Hand auf die Fensterkante.
    „Mit manchen Dingen kann man sich
nicht abfinden. Haben Sie das Schild gesehen?“
    „Welches Schild?“
    „Das da! Am Eingang von Boulainvilliers Sie zeigte in die Richtung. Ich sah nicht
hin. Ich kannte das Schild.
    „Ja, hab’s gesehen. Und?“
    „Und? Privatgrundstück. Ist das
nicht ein starkes Stück? Wirklich, die Leute sind kein bißchen sensibel. Wie
lange mag das dreckige alte Schild schon da hängen? Und niemand hat je daran
gedacht, es abzunehmen. Unbefugten und Tieren ist der Zugang untersagt. Das hätte keine fünf Minuten hängenbleiben dürfen, finden Sie nicht?“
    Ich mußte lachen.
    „Also wirklich! Was in dem kleinen
Kopf alles so vor sich geht... Glückwunsch! Hab dasselbe gedacht, als ich das
Schild sah. Wir zwei könnten uns verstehen.“
    „Sie machen sich schon wieder über
mich lustig! Das ist nicht nett ..
    Sie lachte laut los.
    „Sehen Sie mal die da!“
    Ich lehnte mich hinaus, um zu sehen,
was die Ursache ihrer Heiterkeit war. Eine komische Alte kam aus dem Viertel
von Boulainvilliers . Der Rock ging ihr bis auf die
Reitstiefel. Unter dem ballonartigen Hut kamen gelbliche Haare hervor. Jetzt
verstand ich auch das Schild am Eingang. Wenn alle Bewohner des Viertels so
aussahen, lag der Nutzen des Zugangsverbots auf der Hand. Vielleicht hatten es
der Tierschutzverein und eine humanitäre Gesellschaft anbringen lassen.
    „Wie im Karneval!“ bemerkte meine
kleine Freundin.
    Ich nickte zustimmend. Wahrscheinlich
war das nicht der Dichter Fernand Gregh . Also konnte
ich mir einen groben Vergleich erlauben:
    „Sieht aus wie ‘ne alte Pißnelke .“
    „Sie kennen aber schlimme Wörter!“
    „’ tschuldigung .
Das ist nicht schlimm, sondern nur unsauber. So ist nun mal die französische
Sprache, vor allem das Argot.“
    „Jetzt machen Sie sich schon wieder
über mich lustig.“
    „Überhaupt nicht. Aber es würde zu
lange dauern, Ihnen das zu erklären, Mademoiselle ... Mademoiselle „Marie-Chantal.“
    Ich drohte ihr mit den Hörnern meiner
Stierkopfpfeife.
    „Wer macht sich hier über wen lustig,
hm?“
    „Aber so heiße ich!“
    „Im Ernst?“
    „Wirklich!“
    „Na ja, da hat man Ihnen aber einen
üblen Streich gespielt überm Taufbecken. Kein Vergnügen, mit so einem Vornamen
durchs heutige Paris zu laufen, hm? Haben Sie keinen anderen?“
    „Doch.“
    „Und welchen?“
    „Suzanne.“
    „Dann nenn ich Sie lieber Suzanne...
falls wir uns noch mal sehen sollten.“
    „Werden wir!“
    „Natürlich. Wenn Nestor sich ein Pferd
gekauft hat, ein Turnierpferd, ein Paradepferd, ein Streitroß oder wie man einen Gaul noch so nennt. Und dann eine komplette Ausrüstung für
gewerkschaftlich organisierte Märchenprinzen.“
    „Nestor?“
    „Ja, so heiße ich .“
    Sie lächelte.
    „Sie sind ein lustiger Vogel.“
    „Hm...“
    „Wenn Sie Oma auch so’n Quatsch erzählt haben...“
    „Ach du heilge Tante! Wer erzählt denn hier Quatsch? Und vor allem: wieso Oma?“
    Sie kniff den Mund zusammen, machte
ein hochnäsiges, affiges Gesicht.
    „Madame Ailot“, erklärte sie.
„Mathilde Ailot. Aber sie ist nicht meine Großmutter. Ich nenn sie nur so. Sind
Sie ein Freund von ihr? Ich seh Sie zum ersten Mal.“
    „Wie Sie schon sagten: Ich bin ein
lustiger Vogel. Ein Wandervogel.“
    „Wandervogel? Sind sie Vertreter?“
    „Ja, ich bin Vertreter.“
    Meistens in Sachen Mordsärger!
    „Zufrieden?“
    Sie antwortete nicht. Das heißt, sie
sagte plötzlich: „Auf Wiedersehn, Monsieur“, was man nicht als Antwort im
eigentlichen Sinne bezeichnen kann. Und damit verschwand sie aus meinem
Gesichtsfeld. Ich beugte mich hinaus. Sie war verschwunden. Aber durch das
andere Wagenfenster sah ich sie. In ihren Ballerinaschuhen überquerte sie die Straße, diagonal, sozusagen den Schwanz eingeklemmt. Wie ein
Hund, der eine Tracht Prügel erwartet. Sie ging auf die Villa modern style zu, wo in dem Gartentor Jérôme wartete, kräftig und kantig. Dann schloß sich
die Tür hinter den beiden.
    Marie-Chantal! Teufel noch mal! Ein
verdrehtes Dienstmädchen, dem der Frühling wohl zu schaffen machte, das zuviel las und sich am Ende
noch um Dinge kümmerte, die es nichts angingen. Dienstmädchen? Vielleicht
nicht. Verdammt hübsch, ja sogar rassig für ein Dienstmädchen. Und dazu ‘n
kleiner Witzbold. Jedenfalls aber etwas
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