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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier
Autoren: Philip Roth
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halbbewußte Spontaneität, ein Gefühl der Richtigkeit, auch wenn sie vielleicht nicht genau weiß, was sie tut oder warum sie es tut. Daß sie zu mir kam, um sich fotografieren zu lassen, zeugt von einem großen Vertrauen zum Instinkt, zu einem eigenen, impulsiven Gedanken, zur Intuition, und dahinter stand kein reflektiertes Abwägen. Man hätte sich dieses Abwägen zwar vorstellen können, aber das entsprach nicht Consuelas Art. Sie habe das Gefühl, dies tun zu müssen, sagte sie, um für mich, der ihren Körper so geliebt habe, zu dokumentieren, wie schön, wie vollkommen er gewesen sei. Doch es gab noch ganz andere Gründe.
    Mir ist aufgefallen, daß die meisten Frauen in Hinblick auf ihren Körper unsicher sind, selbst wenn sie, wie Consuela, wirklich schön sind. Nicht alle wissen, daß sie schön sind. Nur ein bestimmter Typ von Frau weiß das. Die meisten beklagen sich über etwas, über das sie sich nicht zu beklagen brauchten. Oft wollen sie ihre Brüste verbergen. Es gibt da irgendeine Scham, deren Ursache ich nie habe ergründen können, und um ihnen die Unsicherheit zu nehmen, muß man lange auf sie einreden, bevor sie es wirklich genießen können, ihre Brüste zu entblößen und sie betrachten zu lassen. Das gilt auch für diejenigen, die von der Natur am meisten begünstigt worden sind. Nur wenige zeigen sich ganz unbefangen, und weil darüber so viel polemisiert worden ist, sind das heutzutage nur selten diejenigen mit jenen vollkommenen Brüsten, wie man sie selbst entworfen hätte.
    Doch die erotische Kraft von Consuelas Körper - nun, damit ist es vorbei. Ja, in jener Nacht hatte ich eine Erektion, aber sie hätte nicht lange angehalten. Glücklicherweise habe ich die nötige Potenz und den Trieb, doch wenn sie mit mir hätte schlafen wollen, wäre ich in große Schwierigkeiten geraten. Und sollte sie mit mir schlafen wollen, wenn sie von der Operation genesen ist, werde ich auch dann große Schwierigkeiten haben. Und das wird sie wollen, oder? Sie wird es erst einmal mit einem Mann probieren wollen, den sie kennt, mit einem alten Mann. Um ihres Selbstvertrauens, um ihres Stolzes willen lieber mit mir als mit Carlos Alonso oder einem der Brüder Villareal. Das Alter richtet vielleicht nicht so viel an wie der Krebs, aber es richtet genug an.
    Teil zwei. In drei Monaten wird sie mich anrufen und sagen: »Wir müssen uns unbedingt sehen«, und dann wird sie sich wieder ausziehen. Ist das die Katastrophe, die auf uns zukommt?

Es gibt ein Bild von Stanley Spencer, das in der Täte Gallery hängt
    Einen Doppelakt von Spencer und seiner Frau in den Mittvierzigern. Es ist der Inbegriff der ungeschminkten Darstellung eines langen Zusammenlebens von Mann und Frau. Das Bild ist in einem der Spencer-Bücher, unten, in der Bibliothek. Ich werde es Ihnen nachher zeigen. Spencer sitzt, hockt neben seiner liegenden Frau. Er sieht durch seine Nickelbrille aus kurzer Entfernung nachdenklich auf sie hinab. Und wir sehen die beiden ebenfalls aus kurzer Entfernung: zwei nackte Körper, direkt vor unseren Augen, damit wir um so besser sehen können, daß sie nicht mehr jung und schön sind. Keiner von beiden ist glücklich. Auf der Gegenwart lastet eine schwere Vergangenheit. Besonders bei der Frau ist alles schlaff und dick geworden, und die Zukunft hält noch härtere Prüfungen als faltige Haut für sie bereit.
    Am Rand des Tisches im Vordergrund liegen zwei Stücke Fleisch, eine große Lammkeule und ein kleines Kotelett. Sie sind mit fotografischer Akkuratesse wiedergegeben, mit derselben unbarmherzigen Wahrhaftigkeit wie, nur Zentimeter hinter dem rohen Fleisch, die schlaffen Brüste und der hängende, unerregte Schwanz. Es könnte ein Blick in das Schaufenster eines Metzgers sein, nicht nur auf das Fleisch, sondern auch auf die sexuelle Anatomie dieses Ehepaars. Jedesmal wenn ich an Consuela denke, sehe ich diese rohe Lammkeule vor mir, einen primitiven Knüppel neben den unerbittlich ausgestellten Körpern dieses Mannes und dieser Frau. Daß sie da ist, so nah an beider Bett, erscheint immer weniger unpassend, je länger man das Bild betrachtet. Im irgendwie ratlosen Gesichtsausdruck der Frau liegt eine melancholische Resignation, und dieser Klumpen Fleisch hat nichts gemein mit einem lebenden Lamm, und seit drei Wochen, seit Consuelas Besuch, muß ich ständig an diese beiden Darstellungen denken.
     
Wir sahen den Beginn des neuen Jahres um die Welt gehen,
    wir sahen die bedeutungslose Massenhysterie der
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