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Das sterbende Tier

Das sterbende Tier

Titel: Das sterbende Tier
Autoren: Philip Roth
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Leica mit Zoomobjektiv, und Consuela stand auf. Wir zogen die Vorhänge zu und schalteten alle Lampen ein, und ich fand die richtige Schubert-Musik und legte sie auf. Als Consuela begann, sich auszuziehen, tat sie es nicht mit einem Tanz, sondern eher mit exotischen, orientalischen Bewegungen. Sehr elegant und so verletzlich. Ich saß auf dem Sofa, und sie stand da und zog sich aus. Und die Art, wie sie das tat und ein Kleidungsstück nach dem anderen fallen ließ, war atemberaubend. Mata Hari. Die Spionin, die sich für den Offizier entkleidet. Und die ganze Zeit so extrem verletzlich. Zuerst zog sie die Bluse aus. Dann die Schuhe. Außergewöhnlich, die Schuhe zu diesem Zeitpunkt auszuziehen. Dann legte sie den BH ab. Es war, als hätte ein nackter Mann vergessen, die Socken auszuziehen: Das wirkt immer ein bißchen lächerlich. Ich finde eine Frau mit nackten Brüsten, die einen Rock trägt, nicht erotisch. Der Rock beeinträchtigt das Bild irgendwie. Nackte Brüste in Kombination mit einer Hose sind sehr erotisch, aber in Verbindung mit einem Rock - das funktioniert nicht. Wenn eine Frau den Rock anbehalten will, sollte sie den BH nicht ausziehen. Ein Rock und nackte Brüste, das heißt: Jetzt wird gestillt.
    So zeigte sie sich mir. Sie entkleidete sich, bis sie nur noch ihren Slip trug. Sie sagte: »Könntest du meine Brüste berühren?« »Ist das das Foto, das du willst: wie ich deine Brüste berühre?« »Nein, nein. Du sollst sie erst berühren.« Also tat ich es. Und dann sagte sie: »Ich will Fotos von vorn und von der Seite und dann welche, auf denen ich mich vorbeuge.«
    Ich machte etwa dreißig Fotos von ihr. Sie wählte die Posen, und sie wollte alle Variationen. Sie wollte Fotos, auf denen sie ihre Brüste mit den Händen stützte. Auf denen sie sie drückte. Fotos von links, Fotos von rechts, Fotos, auf denen sie sich vorbeugte. Schließlich zog sie auch den Slip aus, und man konnte sehen, daß ihr Schamhaar so war, wie es immer gewesen war, wie ich es beschrieben habe: glatt und anliegend. Asiatisches Haar. Sie schien mit einemmal erregt zu sein, weil sie den Slip ausgezogen hatte und ich sie betrachtete, ohne daß sie etwas anhatte. Man konnte an ihren Brustwarzen sehen, daß sie erregt war. Ich war es inzwischen allerdings nicht mehr. Trotzdem fragte ich sie: »Willst du über Nacht hierbleiben? Willst du mit mir schlafen?« Sie sagte: »Nein, ich will nicht mit dir schlafen. Aber ich will, daß du mich in den Armen hältst.« Ich war vollständig bekleidet, wie jetzt auch. Und sie saß auf dem Sofa, in meinen Armen, wir waren einander ganz nah, und dann nahm sie mein Handgelenk und legte meine Hand in ihre Achselhöhle, damit ich den Krebs fühlen konnte. Er fühlte sich an wie ein Stein. Ein Stein in ihrer Achselhöhle. Zwei kleine Steine, einer größer als der andere, was bedeutete, daß es Metastasen gab, die von ihrer Brust ausgegangen waren. Doch in der Brust konnte man nichts ertasten. Ich fragte: »Warum kann ich sie in der Brust nicht ertasten?«, und sie sagte: »Meine Brüste sind zu groß. Zuviel Gewebe. Der Krebs sitzt tief in der Brust.«
    Ich hätte nicht mit ihr schlafen können, nicht einmal ich, der ich ihr Blut abgeleckt hatte. Nach all den Jahren, in denen ich so viel an sie gedacht hatte, wäre es schwierig genug gewesen, sie bloß anzusehen, wenn sie unter normalen Umständen und nicht in einer so seltsam schrecklichen Verfassung bei mir aufgetaucht wäre. Nein, ich hätte nicht mit ihr schlafen können, und doch dachte ich unausgesetzt daran. Weil sie so schön sind, ihre Brüste. Ich kann es nicht oft genug sagen. Es war so gemein, so erniedrigend, daß diese Brüste, ihre Brüste... Ich dachte: Sie dürfen nicht zerstört werden! Wie ich Ihnen schon sagte: Ich hatte in all den Jahren, in denen wir nicht zusammen waren, beim Masturbieren immer nur an Consuela gedacht. Ich war mit anderen Frauen ins Bett gegangen und hatte an sie gedacht, an ihre Brüste und daran, wie es gewesen war, mein Gesicht in ihnen zu vergraben. Ich hatte daran gedacht, wie weich sie gewesen waren, wie glatt, und daß ich ihr Gewicht, ihr sanftes Gewicht hatte spüren können, und das alles, während meine Lippen eine andere liebkosten. Doch in diesem Augenblick wußte ich, daß Sex in ihrem Leben unwichtig geworden war. Was auf dem Spiel stand, war etwas anderes. Also sagte ich: »Soll ich dich ins Krankenhaus begleiten? Wenn du es willst, werde ich es tun. Ich bestehe darauf, dich zu begleiten. Du
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