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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
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dass er selbst zu essen gedachte. Obwohl er immer noch zu schwach und zu krank zum Sprechen war, schaffte er es, immerhin so viel Suppe zu sich zu nehmen, dass Briony zum ersten Mal wieder Hoffnung schöpfte, der alte Mann würde die Nacht doch überleben. Jetzt spürte sie ihre eigene Erschöpfung. Sie schob ihre Schale von sich und stierte darauf, kaum noch in der Lage, den Kopf hochzuhalten.
    »Ihr seid müde, Hoheit«, sagte Ena. Briony konnte die Mimik des Mädchens nicht so leicht deuten, glaubte aber, Freundlichkeit und eine erstaunliche Kraft und Ruhe in Enas Zügen zu erkennen. Sie schämte sich ein bisschen für ihre eigene Schwäche. »Geht, sucht Euch ein Bett. Ich werde mich um Shaso-na kümmern, bis er einschläft«, sagte das Skimmermädchen.
    »Aber du bist doch selbst müde. Du hast die ganze Nacht gerudert! «
    »Damit bin ich aufgewachsen, wie mit dem Schwimmen und Netzeflicken. Ich habe schon schwerer gearbeitet — und aus weniger wichtigem Grund.«
    Briony musterte das Mädchen, die riesigen, runden, dunklen Augen und die brauenlose, hohe Stirn, so glänzend wie Speckstein. War Ena hübsch? Schwer zu sagen, so vieles an ihr war ungewöhnlich, aber angesichts ihres wachen Blicks und ihrer kräftigen, ebenmäßigen Züge vermutete Briony, dass Ena unter ihresgleichen als hübsch galt.
    »Na gut«, gab sie schließlich nach. »Das ist sehr nett von dir. Ich nehme eine Kerze und lasse dir die Lampe hier. Bettzeug ist in der Truhe in der Halle — ich lege dir und Shaso etwas heraus.«
    »Er schläft wohl besser gleich hier«, sagte Ena leise, vielleicht, um Shaso die Schmach zu ersparen, sie über sich reden zu hören wie über ein Kind. »Das dürfte bequem genug sein.«
    »Wenn das hier vorbei ist und die Tollys am Galgen verfaulen, werden die Eddons ihre Freunde nicht vergessen.« Das Skimmermädchen zeigte keine Reaktion, also beschloss Briony, sich klarer auszudrücken. »Ihr werdet belohnt werden, dein Vater und du.«
    Jetzt lächelte Ena unverkennbar, ja, es sah sogar so aus, als verkniffe sie sich das Lachen, was Briony sehr verwirrte, aber das Skimmermädchen sagte nur: »Danke, Hoheit. Es ist Ehrensache für mich, zu tun, was ich kann.«
    Verblüfft, aber zu müde, um darüber nachzudenken, tastete sich Briony ins nächste Schlafgemach, schlug die staubige Decke auf und streckte sich aus. Erst als der Schlaf sie hinabzog, fiel ihr wieder ein, dass das hier immer Kendricks Zimmer gewesen war.
    Dann komm eben zurück, erklärte sie, vor Erschöpfung schon ganz benommen, ihrem toten Bruder. Komm zurück und such mich heim, lieber, lieber Kendrick — du fehlst mir so ...!
    Doch der Schlaf, in den sie — langsam trudelnd wie eine Feder im Brunnenschacht — sank, war nur undurchdringliches Dunkel, ohne Träume und ohne Geister.
     
    Die Insel war in Nebel gehüllt, aber der Morgen brachte genug Licht, um das Sommerhaus auf dem M'Helansfels wieder zu einem vertrauten Ort werden zu lassen — Licht, das durch die hohen Fenster hereindrang, die große Halle in einen blaugrauen Schimmer tauchte, so sanft wie der von Perlmutt, und die Statuen der heiligen Onirai in ihren Wandnischen aussehen ließ, als erwachten sie zum Leben. Selbst die Küche schien wieder der heimelige Ort, den Briony in Erinnerung hatte. Dinge, die sie in der Nacht vor Erschöpfung gar nicht wahrgenommen hatte, der Geruch der Luft, die Schreie von Sturmtauchern und Möwen, die schweren Möbel, abgewetzt und schartig, weil Generationen von Eddon-Kindern daraus imaginäre Pferdekarawanen und Festungen erschaffen hatten, erfüllten sie jetzt mit Sehnsucht und Trauer.
    Weg. Alle. Barrick. Vater. Kendrick. Sie fühlte Tränen in den Augen und wischte sie ärgerlich weg. Aber Barrick und Vater sind noch am Leben — bestimmt. Benimm dich nicht wie ein blödes Mädchen. Sie sind nicht weg, nur ... woanders.
    In das Heidekraut vor dem Haus geduckt, starrte sie lange und angestrengt zur Burg hinüber. Am Fuß der äußeren Mauer schienen sich ein paar Fackeln zu bewegen — Boote, die die Einfahrten und Höhlen am Ufer des Midlanfels absuchten, aber keines schien sich weiter von der Südmarksfeste entfernt zu haben. Für Briony ein Hoffnungsschimmer. Wenn sie selbst das Sommerhaus vergessen hatte, konnte es doch sein, dass die Tollys auch nicht daran denken würden, ehe sie und Shaso längst weg wären.
    Wieder in der Küche, aß sie brav ihre Fischsuppe, diesmal gewürzt mit wildem Rosmarin, den Ena in dem verwucherten, herrenlosen
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