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Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Stephen King
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und da zerriss plötzlich etwas in ihr wie eine überlastete Sehne. Sie stieß Hüften und Rücken ruckartig nach oben und schüttelte seine Hand ab.
    »Hör auf, Gerald. Mach diese albernen Handschellen los, und lass mich aufstehen. Das macht schon seit letzten März keinen Spaß mehr, als noch Schnee auf dem Boden gelegen hat. Ich fühle mich nicht sexy, ich komme mir nur lächerlich vor.«
    Dieses Mal hatte er sie gehört. Sie sah es daran, dass der Glanz in seinen Augen mit einem Mal wie eine Kerzenflamme bei starkem Wind erlosch. Sie vermutete, dass es die beiden Wörter albern und lächerlich waren, die ihn schließlich erreicht hatten. Er war ein dicker Junge mit starken Brillengläsern gewesen, ein Junge, der seine erste Verabredung mit achtzehn gehabt hatte – ein Jahr nachdem er eine strikte Diät angefangen und ein Training absolviert hatte, um das wuchernde Fett zu ersticken, bevor es ihn ersticken konnte. Und seit seinem Eintritt ins College war Geralds Leben »mehr oder weniger unter Kontrolle«, wie er sich ausdrückte (als wäre das Leben – sein Leben zumindest – ein bockender Hengst, den er auf Befehl zähmen konnte), aber sie wusste, die Jahre auf der Highschool waren ein einziger Horror gewesen, der ihm ein tief verwurzeltes Erbe von Selbstverachtung und Argwohn gegenüber anderen hinterlassen hatte.
    Sein Erfolg als Firmenanwalt (und die Ehe mit ihr; sie glaubte, dass auch das einen Teil dazu beigetragen hatte, möglicherweise sogar den entscheidenden) hatte sein Selbstvertrauen und seine Selbstachtung weiter gestärkt, aber sie vermutete, dass manche Alpträume nie richtig zu Ende gingen. In einem tief verborgenen Teil seines Verstands verpassten die Schulschläger Gerald immer noch Knüffe im Klassenzimmer, lachten immer noch über Geralds Unvermögen, mehr als Mädchenliegestütze im Turnunterricht zu machen, und es gab Wörter – albern und lächerlich zum Beispiel -, die das alles ins Gedächtnis zurückriefen, als wäre es gestern gewesen … vermutete sie. Psychologen konnten in mancher Hinsicht unvorstellbar dumm sein – beinahe absichtlich dumm, so schien es ihr häufig -, aber sie fand, was die schreckliche Beharrlichkeit einiger Erinnerungen anlangte, trafen sie genau ins Schwarze. Manche Erinnerungen hafteten am Gedächtnis eines Menschen wie bösartige Blutegel, und bestimmte Wörter – albern und lächerlich zum Beispiel – erweckten sie unverzüglich zu zuckendem, fiebrigem Leben.
    Sie wartete auf einen Stich der Scham, weil sie so unter die Gürtellinie gezielt hatte, und war erfreut – vielleicht sogar erleichtert -, als kein Stich kam. Ich glaube, ich habe es einfach satt, etwas vorzugeben, dachte sie, und dieser Gedanke führte zu einem weiteren: Sie hatte vielleicht ihre eigene sexuelle Speisekarte, und wenn ja, stand diese Sache mit den Handschellen eindeutig nicht darauf. Sie gaben ihr ein Gefühl der Erniedrigung. Die ganze Vorstellung gab ihr ein Gefühl der Erniedrigung. Oh, eine gewisse unbehagliche Erregung hatte die ersten paar Experimente begleitet – und bei einigen Gelegenheiten hatte sie mehr als nur einen Orgasmus gehabt, was bei ihr eine Seltenheit war. Dennoch gab es Nebenwirkungen, auf die sie gerne verzichten konnte, und das Gefühl, erniedrigt zu werden, war nur eine davon. Zu Beginn hatte sie nach jeder Version von Geralds Spiel Alpträume gehabt. Sie war jedes Mal schweißgebadet und stöhnend daraus erwacht, hatte die Hände fest in die Gabelung ihres Schritts gepresst und zu Fäusten verkrampft. Sie konnte sich nur an einen dieser Träume erinnern, und die Erinnerung war vage, verschwommen: Sie hatte nackt Krocket gespielt, und mit einem Mal war die Sonne erloschen. Dann hatte eine Hand sie angefasst, und eine grässliche, furchteinflößende Stimme hatte aus der Dunkelheit gesprochen: Liebst du mich, Punkin?, hatte sie gefragt, und das Schrecklichste an dieser Stimme war gewesen, dass sie so vertraut klang.
    Vergiss es, Jessie, über all das kannst du an einem anderen Tag nachdenken. Im Augenblick ist nur wichtig, dass du ihn dazu bringst, dich loszumachen.
    Ja. Denn dies war nicht ihr Spiel; dieses Spiel war seines ganz allein. Sie hatte einfach nur mitgespielt, weil Gerald es von ihr wollte. Aber das genügte nicht mehr.
    Der Eistaucher ließ wieder seinen einsamen Ruf über den See erschallen. Geralds albernes Grinsen der Vorfreude war einem Ausdruck von Verdrossenheit gewichen. Du hast mein Spielzeug kaputt gemacht, du Flittchen, sagte
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