Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Spiel

Das Spiel

Titel: Das Spiel
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Matratzensport betreiben und dann auf der Veranda sitzen und die Stille genießen. Nach Sonnenuntergang vielleicht ein bisschen Scrabble spielen. Ist das etwa eine strafbare Handlung, Gerald? Was meinst du? Sag es mir, weil ich es wirklich wissen will.«
    »Aber du hast gesagt …«
    In den vergangenen fünf Minuten hatte sie ihm auf die unterschiedlichste Weise mitgeteilt, dass sie aus diesen verdammten Handschellen rauswollte, und er hatte sie immer noch nicht losgemacht. Plötzlich kochte ihre Ungeduld in Wut über. »Mein Gott, Gerald, es hat mir von Anfang an nie richtig Spaß gemacht, und wenn du nicht so ein Holzkopf wärst, hättest du es auch bemerkt!«
    »Deine Sprüche. Deine klugen, sarkastischen Sprüche. Manchmal habe ich sie so satt …«
    »Gerald, wenn du dir wirklich etwas in den Kopf gesetzt hast, kommt man dir im Guten nicht bei. Und wessen Schuld ist das?«
    »Ich mag dich nicht, wenn du so bist, Jessie. Wenn du so bist, mag ich dich kein bisschen.«
    Es wurde schlimm und schlimmer, und das Beängstigende war, wie schnell es passierte. Plötzlich war sie sehr müde, und eine Zeile aus einem alten Stück von Paul Simon fiel ihr ein: I don’t want no more of this crazy love. Genau, Paul. Du bist vielleicht klein, aber dumm bist du nicht.
    »Das weiß ich. Aber das macht momentan nichts, denn momentan sind diese Handschellen das Thema, und nicht, wie sehr du mich magst oder nicht magst, wenn ich meine Meinung ändere. Ich will raus aus diesen Handschellen. Hast du mich verstanden?«
    Nein, stellte sie mit zunehmendem Missfallen fest, er verstand sie nicht. Gerald lag immer noch eine Biegung zurück.
    »Du bist immer so verdammt launisch, so verdammt sarkastisch. Ich liebe dich, Jess, aber dein verfluchtes Großmaul kann ich nicht leiden. Konnte ich noch nie.« Er strich mit der Handfläche der linken Hand über die Rosenknospe seines Schmollmunds und sah sie traurig an – der arme, vor den Kopf gestoßene Gerald, der mit einer Frau geschlagen war, die ihn in den Wald geschleppt hatte und sich nun weigerte, ihren sexuellen Pflichten nachzukommen. Der arme, vor den Kopf gestoßene Gerald, der keinerlei Anstalten traf, die Schlüssel der Handschellen von der Kommode neben der Badtür zu holen.
    Ihr Unbehagen war zu etwas anderem geworden – sozusagen hinter ihrem Rücken. Es war zu einer Mischung aus Wut und Angst geworden, die sie, soweit sie sich erinnern konnte, nur einmal empfunden hatte. Als sie zwölf oder so war, hatte ihr Bruder Will sie in den Hintern gepikt. Ihre sämtlichen Freundinnen hatten es gesehen, und sie hatten alle gelacht. Har-har, sähr kommisch, Senhorra, fünde ich. Aber für sie war es nicht komisch gewesen.
    Will hatte am lautesten gelacht, so sehr, dass er gebückt mit den Händen auf den Knien dagestanden und ihm das Haar ins Gesicht gehangen hatte. Das war ein Jahr nachdem die Beatles, die Stones, die Searchers und all die anderen hochgekommen waren, und Will hatte jede Menge Haar gehabt, das er hängen lassen konnte. Anscheinend hatte es ihm die Sicht auf Jessie genommen, denn er hatte keine Ahnung, wie wütend sie war … dabei war er unter normalen Umständen auf fast unheimliche Weise empfänglich für ihre Launen und Stimmungsumschwünge. Sie war bei weitem Wills Lieblingsschwester. Er hatte so lange gelacht, bis sie derart geladen war, dass sie etwas tun musste, oder sie wäre geplatzt. Und so hatte sie eine kleine Faust geballt und ihrem heiß geliebten Bruder eine auf den Mund geschlagen, als dieser schließlich den Kopf gehoben und sie angesehen hatte. Der Schlag hatte ihn umgehauen wie einen Kegel, und er hatte echt schlimm geweint.
    Später versuchte sie sich einzureden, dass er mehr vor Überraschung als Schmerz geweint hatte, aber sie hatte schon mit zwölf gewusst, dass das nicht so war. Sie hatte ihm wehgetan, ziemlich weh sogar. Seine Unterlippe war an einer Stelle aufgeplatzt, die Oberlippe an zweien, und sie hatte ihm ziemlich wehgetan. Und warum? Weil er etwas Dummes gemacht hatte? Aber er war erst neun gewesen – an diesem Tag neun -, und in dem Alter waren alle Kinder dumm. Das war praktisch ein Naturgesetz. Nein, es war nicht wegen seiner Dummheit gewesen. Es war ihre Angst gewesen – die Angst, wenn sie nicht etwas wegen dieser grünen Giftmischung aus Wut und Verlegenheit unternahm, würde er
    (die Sonne auslöschen)
    bewirken, dass sie platzte. Die Wahrheit, die ihr an diesem Tag zum ersten Mal aufging, war die: Es war ein Brunnen in ihr, das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher