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Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten
Autoren: Hans Pfeiffer
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    Am Ende des Berichts hieß es, die Leberverfettung weise auf chronischen Alkoholmissbrauch hin. Unklar sei jedoch die Rolle des Zerstäubers. Wahrscheinlich sollte die Einatmung von obstbrandhaltiger Zerstäuberluft den Geschmacksgenuss ersetzen, der bei der rektalen Einführung von Alkohol fehlte. Die bösartige Vergrößerung des Tumors erschwerte das Schlucken großer Alkoholmengen beträchtlich, so dass der Kranke sich den Alkohol direkt in die Därme einflößte. Zum letztenmal in tödlicher Menge.
    Frau Haberkorn war eine mitteilsame Frau, die sich mit allen Menschen im Hause gut verstand. Arglos und gutgläubig, war sie von allen gut gelitten. Auch mit ihrem Flurnachbarn, dem nicht unkomplizierten Herrn Ranisch, suchte sie stets Kontakt zu halten. Ranisch war schon ein alter Herr, auch wenn man ihm die 75 nicht ansah. Man konnte ihn gut für 20 Jahre jünger halten. Wenn er aus seiner Wohnungstür trat, wirkten sein aufrechter Gang, sein fester Schritt, sein durchdringender Blick imponierend, seine Stimme war wohlklingend, man merkte ihr nicht an, dass Herr Ranisch lange Zeit in Russland, in orientalischen Städten, in Afrika und Westeuropa gelebt und gearbeitet hatte. Früher, als Herr Ranisch noch gesprächiger war, hatte er sich gerühmt, mehrere Fremdsprachen fließend zu sprechen. Als ihn Frau Haberkorn beeindruckt fragte, was er in so fernen Ländern getan habe, sagte er, er sei Kunstmaler. Daraufhin hatte Frau Haberkorn ihn gebeten, seine Bilder besichtigen zu dürfen. Aber er hatte schroff geantwortet, ein andermal vielleicht. Sie hatte sich damit zufriedengeben müssen. Künstler sind nun einmal sonderbare Menschen. Doch wenn sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass sie Herrn Ranischs Wohnung noch nie betreten hatte. War das Zufall? Oder hatte Herr Ranisch etwas zu verbergen? Von diesem Zeitpunkt an hatte Frau Haberkorn begonnen, Herrn Ranisch zu beobachten. Und bei dieser gezielten Kontrolle bemerkte sie manches, was ihr früher entgangen war. Folgte sie ihm vorsichtig in die Kaufhalle, sah sie, wie er sich reichlich mit Kognak, Whisky und Wodka versorgte, und das oft mehrmals in der Woche.
    Begegnete sie ihm auf dem Hausflur, erschien ihr sein durchdringender Blick jetzt oft starr und gläsern. Früher hatte es Frau Haberkorn nicht interessiert, wenn Herr Ranisch Besuch bekam. Nun beobachtete sie durch den Türspion, wer da ihren Nachbarn aufsuchte. Über längere Zeit erschien regelmäßig am Wochenende ein etwa 14jähriges Mädchen, das Herrn Ranisch nach einer Stunde wieder verließ. Noch war Frau Haberkorns Achtung vor Herrn Ranisch nicht sonderlich beschädigt. Sie dachte, wahrscheinlich ist das eine Verwandte, die den alten Herrn besucht.
    Doch dann blieb dieser Besuch aus, und einige Monate später war auch Herr Ranisch verschwunden. Frau Haberkorn war verwundert, aber immer noch arglos. Bis sie eines Tages in der Kaufhalle erfuhr, Herr Ranisch sei wegen unsittlicher Handlungen an einer Minderjährigen ins Gefängnis gekommen.
    Ebenso unmerklich, wie Herr Ranisch verschwunden war, war er plötzlich wieder zurückgekehrt, füllte seinen Korb mit Kognak, Whisky und Wodka, begnügte sich im Hausflur mit einem kurzen Gruß und zog sich aufrecht und steifbeinig in seine Wohnung zurück. Frau Haberkorn war das nur recht. Sie hatte Scheu vor dem unsittlichen Herrn Ranisch.
    Eines Tages begegnete sie Herrn Ranisch im Hausflur.
    Er wirkte merkwürdig verändert. Sein Gesicht war hochrot, seine Augen blickten fahrig. Gekrümmt und stöhnend schlich er an ihr vorbei. Ob er krank sei, fragte Frau Haberkorn.
    »Bauchschmerzen, nur Bauchschmerzen«, murmelte er.
    Und dann plötzlich war Herr Ranisch wieder verschwunden.
    War er schon wieder im Gefängnis? Das erschien Frau Haberkorn nach mehreren Tagen denn doch unmöglich. Oder war er krank? Sie erinnerte sich an die Begegnung im Flur. War er bereits so krank, dass er die Wohnung nicht mehr verlassen konnte, um Kognak, Whisky und Wodka zu besorgen? Sollte sie ihre Abneigung überwinden und Herrn Ranisch fragen, ob sie ihm etwas aus der Kaufhalle mitbringen sollte?
    Sie läutete an Herrn Ranischs Wohnungstür. Alles blieb still. Sie läutete erneut, lange und eindringlich. Kein Laut von drinnen. Sie beugte sich zum Schlüsselloch hinunter. Der Schlüssel steckte von innen…
    Die Kripo fand Ranisch tot in seinem Bett.
    Im Obduktionsbericht heißt es, nach dem Entkleiden der Leiche sei eine drei cm breite Gummibandage zum Vorschein
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