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Das Spektrum der Toten

Das Spektrum der Toten

Titel: Das Spektrum der Toten
Autoren: Hans Pfeiffer
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Aggressivität, in der Pubertät unterdrückt und verdrängt, nun gegen sich selbst. Autistische Menschen wie Caselo sehen sich als Mittelpunkt der Welt, sie sind das Maß aller Dinge. Aber diesen Anspruch erfüllt ihnen die Realität nicht. Dann sehen sie sich in ihrer Selbstüberheblichkeit als Opfer einer bösen Welt. Dass Caselo den Gehenkten und Geköpften das eigene Gesicht verlieh und sich so mit ihnen identifizierte, mag unbewusst der Wunsch nach Selbstbestrafung gewesen sein.
    Die Gerichtsmediziner Szabó und Panete, die diesen Fall untersuchten, sprachen von einer sadomasochistischen Phantasietätigkeit und möglichen Todesphantasie »mit der Wunschrichtung auf das reale Erleben solcher Dinge mit etwas theatralisch-exhibitionistischem Charakter…«
    Die Weiterentwicklung dieser pathologischen Strukturen wurde durch den verhängnisvollen Unfall verhindert.
    Gerald Koschany liebte Späße, makabre Späße, aber er übersah nicht immer die möglichen Folgen. Der 52jährige Bahnbeamte lebte mit seiner Frau Maria und der erwachsenen Tochter in einem Wiener Vorort. Vielleicht ließ ihn die eintönige Büroarbeit, vielleicht das fade Familienleben nach kurzzeitiger Abwechslung, nach Aufregung suchen. Vielleicht war er ganz einfach vom Charakter so ein Mensch, der sich freute, wenn er andere in Angst und Schrecken versetzen konnte.
    Maria hatte viele solcher Späße in unauslöschlicher Erinnerung.
    Einmal fuhr sie mit ihrem Mann in Urlaub. Sie saßen im Eisenbahnabteil, als Gerald plötzlich aufsprang und nach dem Koffer im Gepäcknetz griff. Er rüttelte daran und sagte zu Maria im Flüsterton, aber so laut, dass die Mitreisenden es hören konnten: »Maria, ich glaube, aus unserem Koffer tropft Blut von der zerstückelten Leiche.« Der Schock der Mitreisenden war so heftig, dass Maria Mühe hatte, die Worte ihres Mannes wie einen Scherz hinzunehmen. Ein andermal hatte sich Gerald in Abwesenheit von Frau und Tochter einen Sarg bestellt, und als die beiden heimkamen, fanden sie Gerald im Sarg liegen, zwei brennende Kerzen am Kopfende. Auch Krankheiten täuschte er gern vor. Er spuckte Blut, erlitt einen Infarkt, bekam epileptische Anfälle. Maria fiel immer wieder auf seine Spiele herein. Wenn sie sich dann von ihrem Schrecken erholt hatte, sagte sie manchmal: »Du bleibst ewig ein Kind.«
    Nach seinem letzten Scherz konnte Gerald diesen Vorwurf nicht mehr hören.
    An diesem Abend nahmen Gerald, seine Frau und die Tochter das Abendessen wie immer zu später Stunde ein. Der folgende Tag war ein Feiertag. Man saß noch etwas zusammen, bis sich Maria erhob und als erste zu Bett ging. Nicht lange danach wünschte Gerald eine gute Nacht und verließ das Zimmer. Dann ging auch die Tochter schlafen.
    Gegen Mitternacht stand Maria auf, um zur Toilette zu gehen. Sie wunderte sich, dass ihr Mann nicht im Bett lag. Vielleicht ist er auch gerade zur Toilette gegangen, dachte sie. Der Weg zur Toilette führte durch die Waschküche.
    Maria öffnete die Tür zur Waschküche, hier brannte noch Licht. Sie trat ein und erblickte Gerald. Er saß auf einem Stuhl, vornübergesunken, den Kopf auf den Knien. Ein straff gespannter Strick verlief von seinem Hals empor zu einem Ofenrohr.
    Maria war müde und nicht zum Scherzen aufgelegt. Sie nahm sich vor, den simulierten Erhängungstod nicht zur Kenntnis zu nehmen. Damit würde sie Gerald am meisten kränken.
    Sie ging an ihm vorbei in die Toilette. Als sie wieder herauskam, saß Gerald noch immer in der gleichen, sicherlich anstrengenden Haltung.
    Maria trat vor ihn hin. »Gerald! Hör auf und komm mit schlafen.« Gerald rührte sich nicht.
    »Ich habe deine Kindereien satt!« rief Maria. Sie griff nach seinen Schultern, wollte ihn vom Stuhl emporziehen. Da merkte sie, Gerald war tot.
    Entschlossen weckte Maria ihre Tochter und schickte sie zum nächsten Polizeirevier. Die Tochter kehrte bald mit einem Polizeiwagen zurück. Der Polizist notierte sich die Stellung der Leiche: Oberkörper nach vorn gesunken, der Strick etwa 1,5 m lang. Der Polizist war sich sicher: Hätte Gerald Koschany aufrecht gesessen, hätte ihn die Schlinge nicht strangulieren können. Erst als der Mann nach vorn kippte, zog sich die Schlinge tödlich zusammen.
    Später erhob Maria Koschany Anspruch auf Auszahlung der Lebensversicherung ihres Mannes. Die Versicherung verweigerte die Zahlung. Sie hielt Geralds Tod für einen Selbstmord. Maria klagte vor Gericht die Versicherungssumme ein und erklärte: »Mein Mann
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