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Das Skript

Das Skript

Titel: Das Skript
Autoren: Arno Strobel
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überzog, verleiteten sie immer wieder den einen oder anderen ihrer Kommilitonen dazu, sie zu unterschätzen. Meist passierte das aber nur einmal. Sie beugte sich ein wenig nach vorne, rieb über ihre Nase, die sich den ganzen Winter über permanent geschält hatte, und dachte dabei an Dirk, der diese Stelle so gerne küsste.
    Sie schaltete die Zahnbürste ab, spülte sich den Mund aus und ging zurück ins Wohnzimmer. Das Päckchen lag neben der Kaffeetasse auf dem Tisch. Sie nahm beides und ging damit in die Küche, wo sie die Tasse auf der Spüle abstellte und dann ein Messer aus der Schublade holte, mit dem sie das in mehreren Lagen aufgeklebte Paketband durchschnitt. Als sie den oberen Teil des Päckchens aufklappte, fiel ihr Blick auf etwas, das in braunes Packpapier eingewickelt war. Es hätte ein Taschenbuch sein können, doch dafür war es zu leicht. Hastig wickelte sie das Papier ab. Eine Art Leinwand kam zum Vorschein, auf einen Keilrahmen gespannt, wie sie ihn von ungerahmten Gemälden kannte. Doch statt eines gemalten Motivs standen dort nur einige wenige Wörter in handgeschriebenen Druckbuchstaben:
    DER LESER
     
    Kriminalroman
     
    von
    Anonymus
    Nina verstand nicht, was das bedeuten sollte. Sie drückte das Packpapier in den aufgeklappten Karton auf der Arbeitsplatte und ließ den Blick über das eigenartige Material wandern, das eine ungewöhnlich blasse Farbe und eine unregelmäßige Struktur hatte. Eine Tierhaut? Vielleicht von einem Schwein? Etwas Wertvolles, womöglich Altägyptisches? Nein, oder? Am oberen rechten Rand war ein dunkler, zur Mitte hin erhabener, ovaler Punkt von vielleicht einem Zentimeter Durchmesser. Sie hielt den Rahmen etwas schräg und hob ihn ein Stück höher, um diesen Punkt genauer betrachten zu können. Dabei bemerkte sie, dass von der Rückseite einige Fetzen herabhingen. Als sie den Keilrahmen umdrehte und neben den Klammern, mit denen die Schreibfläche auf den Rahmen getackert worden war, die ausgefransten Ränder mit dunkelroten, kleinen Klümpchen sah, begann ihr zu dämmern, worum es sich handelte. Schemenhaft noch, und in der Überzeugung, dass sie sich irrte, sich irren
musste
. Und doch schon klar genug, um wie das noch entfernte, dumpfe Grollen eines schweren Gewitters eine Woge des Entsetzens in ihr zu erzeugen.
    Mit spitzen Fingern drehte Nina den Rahmen wieder um, und als sie den dunklen Punkt nun genauer betrachtete, wurde aus der Ahnung im Bruchteil einer Sekunde Gewissheit. Mit einem Schrei warf sie das Ding auf die Arbeitsplatte und schlug sich die zitternden Hände vor den Mund.
    Dieser dunkle Punkt konnte ein etwas in die Länge gezogener Pigmentfleck sein. Bei dem Material, das jemand als Titelseite eines Romans benutzt hatte, und an dessen Rändern noch kleine Fleischstückchen hingen, handelte es sich offenbar tatsächlich um Haut. Und sie stammte nicht von einem Tier.

2
    »Guten Tag. Frau Nina Hartmann?«
    »Ja.«
    »Sie haben uns angerufen wegen eines Päckchens, das Sie bekommen haben. Ein …« – der Uniformierte warf einen Blick auf einen Zettel, schaute stirnrunzelnd zu seinem Kollegen –, »… ein Rahmen, der mit einem seltsamen Material bespannt ist … vielleicht Haut. Und auf dem irgendein Text steht?«
    Nina nickte, und sie kam sich plötzlich albern vor. Jetzt, da diese beiden Polizisten vor ihr standen, erschien ihr die ganze Situation vollkommen verrückt, geradezu irreal. Sie hatte sich wahrscheinlich zu viele dieser blutrünstigen Thriller zusammen mit Dirk angeschaut. Eine Botschaft auf Menschenhaut? Mitten in Hamburg, verschickt an eine Studentin? Hatte sie den Verstand verloren? Warum hatte sie nur auf Dirk gehört, sich von ihm drängen lassen, die Polizei zu alarmieren? Was, wenn sich das Ganze als dummer Scherz herausstellte? Vielleicht sogar von Dirk selbst? Aber nein, er hatte zwar manchmal die verrücktesten Einfälle, doch so weit würde er nicht gehen. Hoffte sie zumindest.
    »Können wir das bitte mal sehen, Frau Hartmann?«
    »Ja, bitte, kommen Sie rein.«
    Nina wandte sich ab, und die Männer folgten ihr in ihre kleine, helle Küche, wo der seltsame Rahmen noch immer auf der Arbeitsplatte neben dem Herd lag. Sie hatte ihn so hingeworfen, dass die Schrift auf dem Kopf stand.
    Der ältere der beiden Polizisten neigte den Kopf zur Seite, um die Wörter lesen zu können, zog dann einen Kugelschreiber aus der Jackentasche, schob die Spitze vorsichtig unter den Rahmen und hob ihn damit ein Stück an.
    »Haben Sie
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