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Das silberne Zeichen (German Edition)

Das silberne Zeichen (German Edition)

Titel: Das silberne Zeichen (German Edition)
Autoren: Petra Schier
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gaben mir Grund und Anlass, mich mehr einzusetzen, als es aus heutiger Sicht klug war.» Wieder hielt er kurz inne, bevor er weitersprach. «Ich war es, der an jenem Tag die Menschen auf dem Marktplatz durch eine wortgewaltige Predigt aufhetzte. Mir könnt Ihr es zuschreiben, dass die Meute sich aufmachte, die Judenfreunde abzustrafen. Ich war es, der dafür sorgte, dass sich der Hass der Frankfurter Bürger gegen Euren Vater richtete. Die Ereignisse gerieten außer Kontrolle; jemand legte Feuer – wer, ist bis heute nicht bekannt. Dass Eure Eltern in diesem Feuer umkamen, ist die Schuld, die ich zeit meines Lebens mit mir herumtragen werde, Meister Schreinemaker.»
    Christoph antwortete nicht darauf. Marysa erkannte den Schmerz, den die Erinnerungen in ihm hervorriefen, in seinen Augen und drückte seinen Arm erneut.
    «Ihr.» Nun sprach Christoph doch. «Ihr wart es, der mich damals festhielt, nicht wahr? Der mich hinderte, in das brennende Haus zu gehen, um meine Eltern zu retten.»
    «Ihr wärt ebenfalls in den Tod gegangen», antwortete Jacobus, nun wieder etwas gefasster. «Das Feuer loderte zu heftig, als dass Ihr etwas hättet tun können. Ich kannte Euch nicht, aber das Grauen in Euren Augen, das Entsetzen und die Verzweiflung des Jungen, der durch meine Schuld alles verloren hatte, ließ mich seither nicht mehr los.»
    «Ich habe Euch danach nicht mehr wiedergesehen.»
    «Nein, denn was Euch Heim, Familie und Zukunft nahm, brachte mir den erhofften Posten. Man berief mich zum Erzbischof und schließlich sogar nach Rom, wo man mir anbot, der Heiligen Römischen Inquisition beizutreten. Für eine Weile konnte ich mit dem Stolz über diese Ehre meine Schuldgefühle betäuben. Lange Zeit kehrte ich nicht mehr in die Gegend um Frankfurt zurück. Ich wusste nicht, was aus Euch geworden war – wollte es gar nicht wissen.» Jacobus senkte die Stimme ein wenig. «Als ich Euch vergangenes Jahr wiedersah, erkannte ich Euch zunächst nicht. Aus dem Jungen von damals war inzwischen ein erwachsener Mann geworden. Als ich später aber begriff, wer Ihr seid, war es wie ein Schlag ins Gesicht für mich, noch dazu, als ich mir der Ironie bewusstwurde, mit der mich das Schicksal bedachte. Ausgerechnet in die Rolle eines Ablasskrämers wart Ihr geschlüpft!» Er schüttelte den Kopf, als sei dies ein Umstand, den er auch jetzt noch nicht ganz begreifen konnte. «Vergebung», fuhr er fort, «sosehr ich sie mir auch wünsche, kann ich nicht von Euch verlangen, das weiß ich. Doch da ich dabei helfen konnte, Euch Euer Leben zurückzugeben, hoffe ich, wenigstens Euren Zorn besänftigt zu haben. Euren Bruder kenne ich nicht, nie habe ich ihn getroffen. Vater Achatius spricht auch heute noch in den höchsten Tönen von ihm. Ganz gleich, wo er sich aufhalten mag, tut ihm den Gefallen und benutzt nie wieder seinen Namen für derartige Narreteien. Versprecht mir stattdessen, Christoph Schreinemaker, dass Ihr von nun an Ihr selbst bleibt.» Er nickte Christoph zu, schenkte Marysa noch ein herzliches Lächeln. Dann ging er zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel, gab seinen beiden Ordensbrüdern das Zeichen zum Aufbruch.
    Aus der Gaststube drang der muntere Klang einer Fidel auf. Gleich darauf fiel eine Flöte in die fröhliche Melodie mit ein. Eine helle Frauenstimme begann zu singen:
Frô Welt, ir sult dem wirte sagen,
daz ich im gar vergolten habe,
mîn grœste gülte ist abe geslagen,
daz er mich von dem briefe schabe …
    Christoph legte Marysa einen Arm um die Schulter und zog sie fest an sich. Schweigend blickten sie dem Dominikaner nach. Er drehte sich nicht mehr zu ihnen um.

EPILOG
    4. Juli, Anno Domini 1416
    «Hier ist es, Marysa!» Christoph deutete auf ein verwittertes Holzkreuz inmitten von vielen weiteren Kreuzen, die scheinbar willkürlich auf dem kleinen Dorffriedhof verteilt standen. Neue Grabhügel gab es auf dieser Seite nur sehr wenige. Wildblumen, Gräser und Schlingpflanzen hatten die Oberhand gewonnen. Bunte Blüten nickten in der leichten Sommerbrise, leuchteten in der wärmenden Mittagssonne.
    Marysa trat langsam näher, immer darauf bedacht, sich den kleinen, gleichwohl jedoch durchaus kraftvollen Schritten ihres Sohnes Aldo anzupassen, den sie an der Hand führte. Vor dem verwilderten Grab blieb sie stehen. «Hier also», sagte sie.
    Christoph legte ihr einen Arm um die Schultern. «Hier habe ich ihn begraben.» Lächelnd wich er der winzigen Hand aus, die in sein Haar greifen wollte. «Schau,
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