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Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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erhitzt im Ofen, eine kräftige und wohlschmeckende Mahlzeit ergaben. Nun lagen sie zuhauf in ihrem braunen Stachelkleid zu ihren Füßen. Bedauernd ließ das Mädchen sie liegen. Roh konnte man sie nicht essen.
    Juliana passierte ein paar Gehöfte, die sich an den steilen Berg schmiegten. Ein Junge trieb mit einem Stock ein paar gefleckte Ziegen aus dem Stall und führte sie dann den Hang hinunter. Julianas Herz schlug schnell, und ihr Atem entwich in weißen Wolken dem offenen Mund. Wieder blieb sie stehen und rang nach Luft. Vom Tal her erklangen Glocken. War das der Ruf zur Terz? Ein eisiger Wind zerrte an Julianas Mantel. Er trieb nicht nur das Kirchengeläut vor sich her. Dicke, tiefgraue Wolken jagten über den Himmel und verschlangen die letzten Flecken Himmelsblau, von wo noch bei ihrem Aufbruch ein paar Sterne tröstlich geschimmert hatten. Wenigstens regnete es nicht. Juliana vermied es, zu den Gipfeln hinaufzusehen, die von den dahineilenden Wolken verschlungen wurden. Als sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, hob sie ihren Stab wieder und setzte den Aufstieg fort.
    Das letzte Haus des Weilers schien Pilgern wohl gesonnen zu sein. Ein alter Mann, dessen Füße dick mit Lumpen umwickelt waren, saß im Windschatten hinter dem Brennholzschuppen und balancierte eine Schüssel Brei auf den Knien. Als er Juliana bemerkte, winkte er sie mit seinem Löffel heran. Das Mädchen zögerte einen Augenblick. Sollte sie eine Rast einlegen und sein Mahl mit ihm teilen? Nein, das Wetter war nicht so schlecht wie befürchtet. Sicher waren die anderen Pilger ebenfalls aufgebrochen
und folgten ihr bereits den Berg hinauf – und mit ihnen Bruder Rupert, den sie nicht so schnell wieder treffen wollte. So winkte sie nur zurück, dankte und setzte ihren Weg fort.
    Kurz darauf begann es zu regnen, und die Wolken glitten die Berghänge herab, um sie samt Felsen und Grasmatten zu verschlingen, samt der Ziegen und Schafe, die hier oben weideten, und samt der einsamen Pilgerin, die vor dem ersten Hagelschauer in einer Felsnische Schutz suchte.
    Der Hagel hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Juliana zog ihren Filzhut tiefer ins Gesicht und stapfte entschlossen den Weg weiter bergan. In ihrem Magen begann es zu rumoren. Es war ein Fehler gewesen, das Mahl des Pilgers abzulehnen. Juliana dachte an die spärlichen Essensreste in ihrem Beutel und schalt sich wegen ihrer Unvernunft. Wenn sie eines auf ihrer langen Reise bisher gelernt haben sollte, dann dass – außer gesunden Füßen – ein voller Bauch stets das Dringlichste war.
    »Hast du das immer noch nicht begriffen, du unvernünftiger Bursche?«, hörte sie die inzwischen vertraute Stimme des Bettelmönchs Rupert in ihrem Kopf, und sein stechender Blick prickelte in ihrem Nacken.
    Ja, es waren diese dunklen Augen, die er oft starr auf sie gerichtet hielt, die sie zu dieser überstürzten Flucht getrieben hatten. Im schwindenden Licht des Abends wirkten sie fast schwarz, stets jedoch waren sie unergründlich und manches Mal auch bedrohlich. Wie oft hatte sie sich in den vergangenen Wochen gefragt, was Bruder Rupert dachte, wenn er am Abend in sich gekehrt dasaß, die sonnengebräunte Stirn gerunzelt, die buschigen Brauen zusammengezogen. Aber erst in den vergangenen Tagen hatte sie diese unerklärliche Furcht gespürt. War es wirklich nur sein mürrischer Blick gewesen? Oder hatte er etwas gesagt, das sich nun in den Tiefen ihrer Seele wand und sie zu dieser törichten Tat trieb?
    Juliana beschleunigte ihre Schritte. Sie fühlte die Kälte in ihren Füßen nicht mehr, und auch der Schmerz in ihrem Knie, auf das
sie vor einigen Tagen gefallen war, schien weniger zu werden. Es war gut zu grübeln, um nicht auf jeden Schritt zu achten und den schneidenden Wind im Gesicht zu vergessen. Der Gedanke, dass Bruder Rupert ihr auf den Fersen war, trieb sie an.
    Die Stunden verrannen. Juliana überschritt die erste kahle Passhöhe. Dahinter senkte sich der Grund sanft ab. Von rechts schnitten steile Täler in die Bergflanke und nagten am Gestein. Nach und nach kehrten die Bäume zurück. Erst unter ihr, an den Hängen der Schluchten, und dann auch beiderseits des Pfades. Es waren Buchen. Ihre Blätter verfärbten sich bereits in Vorahnung des Herbstes. Alt waren sie und knorrig mit mächtigen, verdrehten Stämmen, die keine zwei Mann umspannen konnten. Manche reckten gar völlig kahl ihre Äste in den Nebel. Wie Klauenfinger boshafter Dämonen kamen sie der Wanderin vor. Doch
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