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Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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nicht das erste Mal an diesem Tag gewesen, wie die dunklen Abdrücke auf ihrem Umhang zeigten.
    Die Spitze des glatt geschmirgelten Holzes bohrte sich in den Schlamm. Schwer atmend blieb das junge Mädchen stehen. Wasser tropfte vom Rand ihres grauen Filzhutes. Zwischen den Wasserfäden sah sie den immer blasser werdenden Berghang hinauf, bis er sich im Nebel auflöste.
    Ihr Blick senkte sich zu einer Pfütze vor ihren Füßen herab. Trüb spiegelte sich das Mädchengesicht mit den blauen Augen wider. Die feuchten blonden Locken hatten sich aus ihrem Band gelöst und kringelten sich nun zu beiden Seiten bis auf ihre Schultern herab. Wieder einmal wunderte sie sich, dass
die anderen sich so leicht von ihrer Maskerade täuschen ließen.
    »Ritterfräulein Juliana von Ehrenberg«, flüsterte sie in den Nebel, so als müsse sie die Worte hören, um sich zu erinnern, wer sie wirklich war. Ehrenberg. Wie weit hinter ihr lag nun ihre Heimat, die wehrhafte Burg über dem Neckar im Reich des deutschen Königs. Es war Sommer gewesen, als sie ihr Heim verlassen hatte, um durch Burgund und Frankreich bis nach Navarra zu wandern, und dann weiter durch Kastilien bis fast ans Ende der Welt: nach San Jacobo in Chompostella 1 . Nun hielt in den Bergen bereits der Herbst Einzug, und er schien es sich zur Aufgabe zu machen, ihr die Überquerung des Passes so schwer wie nur möglich zu machen.
    Juliana betrachtete ihren unförmigen Hut im Spiegel zu ihren Füßen und den einfachen, grauen Mantel, den sie sich fest über Hemd und Kittel geschlungen hatte. Nein, die Kleider passten nicht zu einer edelfreien Jungfrau. Aber ein Fräulein hatte nichts auf der Landstraße verloren – zu Fuß und allein – und noch weniger auf einem Pfad zum Pass der Pyrenäen! Welch kluge Entscheidung, das Mädchen Juliana von Ehrenberg und den größten Teil ihrer blonden Haarpracht in der Heimat zurückzulassen. Stattdessen hatte sich der Knappe Johannes als Pilger auf den Weg gemacht, um den Spuren des Vaters zu folgen, die nun hinüber nach Hispanien führten.
    Doch war sie überhaupt noch auf dem richtigen Pfad? Sie lauschte. Nur die Geräusche des Regens und ihr eigener Pulsschlag waren zu hören. Seit den letzten Gehöften am Morgen war Juliana keinem Menschen mehr begegnet. Hatte sie sich verlaufen? Müssten nicht noch andere Pilger unterwegs sein?
    »Unsinn!«, sagte sie laut, so als würde das Wort dadurch an Überzeugungskraft gewinnen. Ein Schmied hatte ihr gestern im Wirtshaus den Weg über den Pass genau beschrieben. Und er musste es wissen. Schließlich war er zweimal über die Berge gewandert:
im Frühling, auf dem Hinweg seiner Pilgerfahrt, und nun, da er die Muschel von Santiago mit nach Hause brachte, zurück. Aber nicht nur über den Weg hatte er zu dem jungen Burschen Johannes gesprochen, er hatte ihn auch vor den tief hängenden Wolken und dem aufziehenden Nebel gewarnt.
    »Du wärst nicht der Erste, der sich dort oben verirrt!«, sagte der Schmied mit düsterer Stimme und rollte mit den Augen. »Die Wolken ziehen rasch, und schon sieht man nicht mehr die Hand vor Augen. Und es wird kalt! Ganz gleich ob es hier unten Frühling oder Sommer ist – auf der Höhe musst du mit allem rechnen. Schnee und Eis können ganz plötzlich hereinbrechen, und dann gnade dir Gott! Wenn du dich nicht in einem plötzlichen Abgrund zu Tode stürzt, dann wirst du erfrieren oder so lange umherirren, bis dich die Erschöpfung zu Boden drückt.«
    »Nun erschrecke unseren jungen Burschen nicht so!«, mischte sich Bruder Rupert ein und rutschte auf der Bank näher an Juliana heran. Der Pilger im braunen Gewand eines Bettelmönchs reiste nun schon seit sie den Rhein überquert hatte in ihrer Gesellschaft. Der Zufall hatte sie zusammengeführt und seitdem nicht wieder getrennt. Der Mönch war zwar nur mittelgroß, hatte aber muskulöse Arme und Beine und wirkte sehr kräftig. Sein dunkelbraunes Haar war kurz geschnitten, allerdings ohne die übliche Tonsur der Ordensbrüder. Der Bart und die dunklen Augenbrauen verliehen ihm etwas Finsteres. Die Narbe am Hals, die sich in einer weißen Linie vom linken Ohr bis zum Adamsapfel zog, und in deren Nähe kein Barthaar mehr wachsen wollte, ließ ihn ein wenig unheimlich erscheinen. Oder lag es an dem durchdringenden Blick, mit dem er seine Mitmenschen zu fixieren pflegte?
    Der Schmied zog eine beleidigte Miene, erhob sich und setzte sich zu einer anderen Gruppe Pilger, wo er seine düsteren Warnungen wiederholte.
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