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Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)

Titel: Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
Autoren: Ulrike Schweikert
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unter ihren Zweigen war der Weg wieder deutlicher zu erkennen und der Wind nicht mehr so rau, so dass Juliana beherzt ausschritt. Ein Reh brach durchs Unterholz und lief vor ihr den Berghang hinauf. Das Mädchen fuhr zurück und presste sich die Hand an die bebende Brust. Sie war mindestens so sehr erschrocken wie das Tier. Nun hörte sie plötzlich überall Geräusche. Ein Wispern und Rascheln, ein Flüstern und Raunen. Langsam drehte sie sich um und ließ den Blick schweifen: Bäume, nichts als Bäume, die sich im Grau der Wolken verloren. Nur mühsam unterdrückte Juliana den Drang zu fragen, wer sich dort im Unterholz verbarg.
    Da ist niemand! Das sind nur die Laute des Waldes und der Berge. Der Wind wird den Nebel bald vertreiben, sprach sich die junge Frau Mut zu. Und doch stieg das wohl bekannte Gefühl des Entsetzens aus dem Bauch in ihre Brust hoch. Sie musste es bekämpfen, bevor es sich ihres Geistes bemächtigte! Sie musste sich ablenken, und sie musste weitergehen!
    Sie versuchte, an die Heimat zu denken. An ihren Freund und Lehrer, den Dekan von Hauenstein, der sie so viel gelehrt, ihr Geschichten erzählt und Gedichte rezitiert hatte. War es nicht hier oben am Pass gewesen, wo Karl der Große auf seinem Zug
zum Grab des Apostels ein Kreuz aufgestellt hatte und dann zum Gebet niedergesunken war? Würde sie das Kreuz finden, oder existierte es nur in dieser Geschichte, die über fünfhundert Jahre lang weitererzählt und ausgeschmückt worden war? Französische Worte kamen ihr in den Sinn.
    Charles li reis, nostre empere magnes,
Set anz tuz pleins ad estet Espaigne:
Tresqu’en la mer cunquist la tere altaigne.
N’i ad castel ki devant lui remaigne;
Mur ne citet n’I est remés a Fraindre
    König Karl, unser großer Kaiser,
War sieben ganze Jahre in Spanien:
Bis hin zum Meer eroberte er das hochmütige Land.
Keine Festung hielt ihm stand;
Keine Mauer und keine Stadt blieb zu bezwingen.
    Das Rolandslied. Immer wieder hatte sie den Dekan gebeten, ihr daraus vorzulesen, bis sie selbst so weit war, die Sprache der Bücher zu verstehen.
    Olivier est desur un pui muntet,
Or veit il ben d’Espaigne le regnet
E Sarrazins, ki tant sunt asemblez.
    Olivier ist auf eine Anhöhe gestiegen.
Da sieht er deutlich das Königreich Spanien
Und die Sarazenen, die so zahlreich versammelt sind.
    Sie sah sein Gesicht, die schmalen Züge, das ergraute Haar, die stets bartlosen Wangen und seine grünen Augen, die so klug und gütig dreinsahen. Stiftsherr Gerold von Hauenstein. Ach wäre er nur hier bei ihr, dann würde alles gut werden. Tränen stiegen in ihr auf. Und doch hatte auch ihr Freund und Lehrer keine Antwort
auf ihre drängendste Frage gewusst. Warum hatte der Vater das getan? In nur einer Nacht hatte er sein Leben, seine Ehre und all die Ideale, die er die Tochter gelehrt hatte, verraten. Warum nur?
    Juliana konzentrierte sich wieder auf die Dichtung, bevor sie der Alb, der sie jede Nacht quälte, verschlingen konnte. Aber auch das Lied sprach von Blut und Verrat und vom Tod.
    Li quens Rollant, par peine e par ahans,
Par grant dulor sunet sun olifan.
Par mi la buche en salt fors li cler sancs.
De sun cervel le temple en est rumpant.
Del corn qu’il tient l’oïe en est mult grant:
Karles l’entent, ki est as porz passant.
    Mit Mühe und Qual, unter großen Schmerzen,
Bläst Graf Roland seinen Olifant.
Aus dem Mund schießt das helle Blut,
Die Schläfe an seinem Schädel zerspringt dabei.
Der Schall des Horns, das er hält, trägt sehr weit:
Karl, der über die Pässe zieht, hört ihn.
    Die Worte formten sich von selbst. Tod und Blut, das Geklirr der Schwerter. Hatte die Schlacht hier getobt? Dort hinter den nächsten Bäumen, die der Nebel verbarg? Nein, es war vermutlich jenseits des Passes gewesen, wo heute die Kirche stand, die sie zu erreichen suchte.
    Der Tag verstrich. Schritt um Schritt führte sie der Weg weiter bergan auf den zweiten Bergkamm zu. Längst breiteten sich wieder grasige Matten und Felsen zu beiden Seiten aus, als sie sich Rolands Tod näherte. Sein Horn ist geborsten, und er versucht, sein Schwert zu zerschlagen, damit es dem Feind nicht in die Hände fällt, doch stattdessen spaltet er den Fels. Hatte der Schmied in St. Pied nicht gesagt, noch heute könne man die Spur von Durendals Klinge im Gestein sehen?
    Ço sent Rollant que la mort le tresprent,
Devers la teste sur le quer li descent.
Desuz un pin I est alet currant,
Sur l’erbe verte s’I est culchet
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