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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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Jennifers Aussage, er sei der Vater, genügte vor dem Gesetz. Von Chile aus ließ meine Mutter mich wissen, sie halte es für einen Wahnsinn, wenn Willie und ich das Mädchen adoptierten, einer solchen Aufgabe seien wir nicht mehr gewachsen: Willie hatte genug mit seinen Kindern und der Kanzlei zu tun; ich schrieb oder war ständig auf Achse.
    »Um dieses Kind muß man sich Tag und Nacht kümmern, wie willst du das anstellen?« fragte sie.
    »Bei Paula habe ich das auch gekonnt.«
    Nico und Celia kamen, um mit uns zu reden. Dein Bruder, gertenschlank und noch immer mit dem Gesicht eines Heranwachsenden, trug auf jedem Arm ein Kind. Cecilia war im sechsten Monat, und man sah es schon deutlich, sie wirkte müde, und ihre Haut hatte einen leichten Grünstich. Einmal mehr staunte ich über meinen Sohn, der nichts von mir geerbt hat: Er überragt mich um anderthalb Kopf, ist ausgeglichen, kultiviert und feinfühlig, vernünftig und miteinem zarten Sinn für Humor versehen. Sein Denken ist glasklar, nicht nur in mathematischen oder naturwissenschaftlichen Fragen, für die er eine Schwäche hat, sondern in allen menschlichen Belangen. Er verblüfft mich immer wieder mit seinem Wissen und seinen Ansichten. Für alle Arten von Problemen findet er Lösungen, ob es um ein komplexes Computerprogramm geht oder um den nicht weniger komplexen Mechanismus, mit dem sich ohne Kraftaufwand ein Fahrrad an die Decke hängen läßt. Er kann fast jedes Gerät des täglichen Bedarfs reparieren und tut das so sorgfältig, daß es nach der Reparatur besser funktioniert als zuvor. Ich habe ihn nie die Beherrschung verlieren sehen. In den Beziehungen zu seinen Mitmenschen hält er sich an drei Grundregeln: Nimm’s nicht persönlich, für die eigenen Gefühle ist jeder selbst verantwortlich, das Leben ist ungerecht. Wo hat er das her? Von der italienischen Mafia vermutlich: Don Corleone. Ich habe mich vergeblich bemüht, seinem Weg der Erkenntnis zu folgen: Ich nehme alles persönlich, fühle mich sogar für Gefühle von Leuten verantwortlich, die ich kaum kenne, und bin seit über sechzig Jahren frustriert, weil ich mich nicht damit abfinden kann, daß das Leben ungerecht ist.
    Du hattest zu wenig Zeit, um deine Schwägerin richtig kennenzulernen, und ich vermute, sie war nicht ganz dein Fall, denn du bist immer ziemlich streng gewesen. Selbst ich hatte ein bißchen Angst vor dir, Tochter, jetzt kann ich es dir ja sagen: Deine Urteile waren in der Regel lapidar und unumstößlich. Außerdem eckte Celia absichtlich an, als machte es ihr Spaß, alle Welt vor den Kopf zu stoßen. Erinnere dich nur an folgende Unterhaltung bei Tisch:
    Celia: »Ich finde, man sollte alle Schwulen auf eine Insel schicken und zwingen, dort zu bleiben. Sie sind schließlich schuld, daß es Aids gibt.«
    »Wie kannst du so etwas sagen!« echauffiertest du dich sofort.
    »Warum sollten wir ausbaden, was die verbockt haben?«
    »Welche Insel?« fragte Willie, um euch weiter auf die Palme zu bringen.
    »Keine Ahnung, die Farallon Islands?«
    »Die sind winzig.«
    »Irgendeine Insel halt! Eine Schwuleninsel, auf der sie sich in den Arsch bumsen können, bis sie tot sind.«
    »Und was sollen sie essen?«
    »Können doch Gemüse anbauen und sich Hühner halten! Oder von mir aus richten wir mit Steuergeld eine Luftbrücke ein.«
    Darauf mein Mann mit einem breiten Grinsen: »Dein Englisch ist viel besser geworden, Celia. Mittlerweile kannst du deiner Intoleranz perfekt Ausdruck verleihen.«
    Und Celia: »Besten Dank, Willie.«
    Nach dem Essen ging das immer so weiter, bis du genervt das Weite suchtest. Sicher, Celias Ausdrucksweise war, jedenfalls für kalifornische Verhältnisse, reichlich gewagt, aber man durfte nicht vergessen, daß sie jahrelang Mitglied des Opus Dei gewesen war und aus Venezuela kam, wo die Leute nie ein Blatt vor den Mund nehmen. Celia ist intelligent und voller Widersprüche, sie sprudelt vor Energie, und ihr Humor, dem nichts heilig ist, pflegte damals, in ein noch limitiertes Englisch übersetzt, schwere Schäden anzurichten. Sie arbeitete als meine Assistentin, und mehr als ein nichtsahnender Reporter oder Besucher verließ mein Büro fassungslos über die Scherze meiner Schwiegertochter. Ich will dir erzählen, was du vielleicht nicht weißt: Über Monate pflegte sie dich mit derselben Hingabe, die sie ihren Kindern entgegenbringt, begleitete dich in deinen letzten Stunden, half mir bei den intimen Ritualen des Todes, um deinen Leichnam
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