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Das Siegel der Macht

Das Siegel der Macht

Titel: Das Siegel der Macht
Autoren: Monika Dettwiler
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weiterreiten«, sagte er zu Elana. »Im Morgengrauen wollen wir aufbrechen.«
    Zuerst sah der Kaiser die Ruinen einer vor Jahrhunderten gebauten Mauer. Riesige Steinklötze, nahtlos ineinander gefügt. Vor ihnen stieg der Pfad zwischen Zypressen und Olivenbäumen steil an. Otto führte sein Pferd am Zügel. Er wollte sich Zeit nehmen und die letzte Bergstrecke bis Monte Cassino zu Fuß ersteigen, wie es vor fünfhundert Jahren der heilige Benedikt getan hatte. Ohne zu essen und ohne zu trinken.
    Als der Hang steiler wurde, wand sich der Pfad in weiten Kurven zwischen Eichen und Olivenbäumen aufwärts. Während einer Verschnaufpause genoss der Kaiser fasziniert das Panorama. Im Südwesten konnte er im Abendlicht die mit üppigen Bäumen bewachsene Ebene überblicken. In der Ferne ballten sich schwarze Wolken zusammen, der Wind trieb sie den Bergen zu. Als die ersten Tropfen fielen, folgte der Kaiser immer noch zu Fuß den Wendungen des Pfades. Endlich kam die Bergspitze in Sicht. Otto und seine Begleiter waren vollständig durchnässt. Unablässig peitschte der Regen auf die Pilger nieder.
    Plötzlich tauchten in der Dämmerung die imposanten Mauern des Klosters vor ihnen auf. Nur ein Teil der Gebäude von Monte Cassino stammte noch aus der Zeit des großen Kaisers Karl. Die Sarazenen hatten die Abtei gestürmt und fast vollständig ausgebrannt. Erst vor einem halben Jahrhundert war das Monasterium wieder aufgebaut worden.
    Der Abt empfing den Kaiser nicht wie einen Büßer. Heißes Wasser in Bütten stand für die Vornehmsten des Gefolges bereit, im Gästehaus hatte man mehrere Kammern mit den Teppichen ausgelegt, die an besonderen Feiertagen die Kirche schmückten.
    Otto fand in seinem Gemach sogar einen Tisch mit Schachfiguren und verschiedenen Würfeln. Im Abthaus erwartete ihn eine Festmahlzeit. Er rührte sie kaum an.
    »Ich bin als Büßer gekommen, Vater Abt«, sagte er leise.
    »Eure Ankunft ist uns gemeldet worden«, gab Johannes zurück. »Ihr habt eine schlimme Krankheit überstanden. Hier in Monte Cassino könnt Ihr Euch ausruhen, zu neuen Kräften kommen. Für ein strenges Fasten ist es beim Heiligtum des Erzengels Michael noch früh genug.«
    Im Olivenhain hielt der Kaiser am nächsten Tag schon nach den Laudes Zwiesprache mit Gott. Es war stockdunkel. Bis zur Vesper wanderte er stundenlang zwischen dem Kreuzgang und der Kirche hin und her, beichtete dem Abt seine Sünden. Aber es half nichts. Im reichen Kloster von Monte Cassino fühlte der Büßer sich am falschen Platz. Es war zu bequem für den asketischen Kaiser. Die Unruhe raubte Otto sogar den Schlaf.
    Nach der Komplet ging er nochmals ins Freie, ließ das Klostertor öffnen und spazierte barfuß in den einsamen Olivenhain. Lange kniete er nieder und betete. Plötzlich durchdrangen ferne Geräusche die Stille. Im ersten Moment glaubte der Kaiser Hufgeklapper zu hören. Aber wahrscheinlich täuschte er sich. Sicher war wieder ein Unwetter im Anzug. Rasch kehrte Otto ins Klostergelände zurück und ging in seine Kammer.
    »Setzt Euch an mein Bett, Gerbert«, sagte Papst Gregor schwach. »Ich muss Euch alles erzählen, bevor es zu spät ist.«
    Im päpstlichen Schlafgemach des Laterans brannten nur wenige Kerzen. Die Fenster waren mit schweren Tüchern verhängt. In der Atmosphäre ein schwüler Duft von heiligen Essenzen.
    Gerbert streckte die Hand zum Bettrand aus, wo ein voller Becher stand. »Ihr befindet Euch seit Tagen im Delirium. Trinkt! Das Fieber zehrt viel Flüssigkeit auf.«
    Erschrocken schob Gregor die Finger des Gelehrten zur Seite. »Später, Gerbert. Jetzt will ich berichten.«
    Brun von Wormsgau war auserwählt worden. Das hatte er auch während des Slawenfeldzuges im Gefolge Kaiser Ottos gespürt. »Am Schlachttag fielen hunderte«, sagte er leise. »Rund um mich starben die Krieger, einzig ich blieb am Leben. Es war ein Wunder, Gerbert.«
    Zwei Jahre später hatte Amizzo ihm von Cluny erzählt. Brun war damals dreiundzwanzig Jahre alt. »Ihr wisst ja selbst, wie die heiligen Äbte der Klöster von Cluny und von Fleury zahlreiche andere Monasterien reformiert haben. Der neue religiöse Geist, die enge Zusammenarbeit auch mit Klöstern aus deutschen und italienischen Gebieten machte Cluny zum Instrument, das ich brauchte.«
    »Ihr gebt zu, dass Ihr die Äbte missbraucht habt, um Euren Machthunger zu stillen?« Gerberts Worte klangen hart.
    Der Papst zuckte zusammen. »Nicht Machthunger«, sagte er heiser. »Mithilfe der Äbte
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