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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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aus Blut und Schweiß. Er guckte auch nach den Schuhnummern. Lauter feine gute Stücke. Nur heraus konnte er nicht. Er sah durch eine Ritze in der Bretterwand. Menschen hinter den Fenstern und Menschen im Treibhaus. Jetzt kam jemand die Treppe herunter, ging in das Treibhaus hinüber. Vor der Tür blieb er stehen, drehte sich nach dem Schuppen zu. Jemand rief aus einem der Fenster, und der Mensch ging wieder ins Schulhaus. Jetzt war es still. Auf den Scheiben glänzte die Sonne und auf den Metallteilen einer Maschine, die halb verpackt neben der Treppe lag.
     
    Georg sprang plötzlich gegen die Tür und zog den Schlüssel ab. Er lachte vor sich hin. Er setzte sich mit dem Rücken zur Tür auf den Boden. Er betrachtete seine Schuhe. Zwei, drei Minuten dauerte dieser Zustand, das letzte Zurückweichen in sich selbst, wenn draußen alles verloren ist, und man pfeift darauf. Wenn sie jetzt kamen, sollte er mit der Hacke losschlagen oder mit dem Rechen? Was ihn weckte, wußte er selbst nicht, jedenfalls nichts Äußeres, vielleicht der Schmerz in seiner Hand, vielleicht ein Rest von Wallaus Stimme in seinem Ohr. Er steckte den Schlüssel wieder hinein. Er guckte durch den Türspalt. Auf die Chaussee über die Mauer konnte er nicht zurück. Zwischen dem mit Scherben bespickten Mauersims und dem Himmel zog sich bräunlich der Ausläufer eines Weinbergs; so durchsichtig war die Luft, daß man die Spitzchen der Rebstöcke zählen konnte, der obersten Reihe, die über den blaßblauen Saum herausstand. Wie er nun stumpf hinaussah auf die obere Rebstockreihe, da kam ihm plötzlich ein Rat, von einem, den er nicht kannte, denn das wußte Georg nicht mehr, ob es Wallau selbst gewesen war an der Ruhr oder ein Kuli in Schanghai oder ein Schutzbündler in Wien, der der Gefahr dadurch entgangen war, daß er einen merkwürdigen Gegenstand auf die Schulter genommen hatte, der die Aufmerksamkeit von ihm ablenkte, weil eine solche Last dem Weg einen Zweck gibt und den Träger ausweist. Ihn, Georg, in seinem Schuppen, eine Türspalte offen auf die mit Scherben bespickte Mauer, erinnerte dieser Ratgeber daran, daß schon einmal einer seinesgleichen auf diese Weise entkommen war aus einem Haus in Wien oder einem Gehöft im Ruhrgebiet oder einer gesperrten Gasse in Tschapei. Wußte er auch nicht, ob das Gesicht dieses Ratgebers Wallaus vertraute Züge hatte oder gelb war oder braun, seinen Rat verstand er: Pack das Maschinenteil auf neben der Treppe. Raus mußt du ja, vielleicht gelingt es nicht, aber was andres gibt es auch nicht. Deine Lage ist zwar besonders verzweifelt, aber auch meine damals. – Ob man ihn überhaupt bemerkt hatte oder für den Angestellten der Maschinenfabrik hielt oder für den, dessen Jacke er trug, er kam zunächst durch zwischen Treibhaus und Treppe, kam durch das Hoftor auf den Weg vor der feldgerichteten Seite der Schule. In seiner linken Hand, die zugepackt hatte, war der Schmerz so stark, daß er minutenlang sogar alle Furcht betäubte. Georg ging weiter auf dem Weg, der parallel zur Chaussee an ein paar Häusern vorbeiführte, die alle auf die Felder sahen, aus den obersten Fenstern vielleicht bis zum Rhein. Die Flieger brummten noch immer, aus dem Dunst war der Himmel durchgeblaut, es war wohl bald Mittag. Georg brannte die Zunge, das harte verkrustete Zeug brannte ihm zwischen Haut und Jacke, er hatte einen qualvollen unbezähmbaren Durst. Auf seiner linken Schulter wippte er leicht das Maschinenteil, an dem ein Firmenschild baumelte. Er wollte das Ding gerade absetzen und sich verschnaufen, als er gestellt wurde.
     
    Wahrscheinlich war es eine der beiden Motorradstreifen, die ihn von der Chaussee aus in der Lücke zwischen zwei Häusern bemerkt hatte: die Umrisse eines verdächtigen, durch die Felder stapfenden Mannes, eine Last auf der Schulter, vor dem stillen Mittagshimmel. Sie stellte ihn, weil sie jeden stellte, ohne besonderen Argwohn. Sie winkte ihm auch gleich ab, als Georg sich mit dem Firmenschild auswies. Vielleicht hätte Georg seinen Weg ruhig fortsetzen können bis Oppenheim und noch weiter – so riet ihm auch jener Beistand, der ihm aus der Baracke geholfen hatte. Georg hörte ja selbst die leise dringliche Stimme, die weiter, weiter rief. Der Anruf des Postens war ihm ins Herz gefahren. Er schleppte plötzlich sein Maschinenteil ab, möglichst weit weg von der Chaussee, feldeinwärts gegen den Rhein zu, nach dem Dorf Buchenau. Je stärker sein Herz vor Angst schlug, desto leiser wurde die
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