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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz
Autoren: Anna Seghers
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Seeligenstadt. Seine eigne dagegen – Bunsen spürte, wie gut sie ihm saß, seine Haut, wie auf Maß gemacht vom Schneidermeister Herrgott! Und das Glück wieder! Die Schweinerei passiert während seiner Abwesenheit, aber er kommt ein klein wenig zu früh, gerade recht, um mitzumachen. Er horchte durch das Sirenengeheul nach der Kommandantenbaracke, ob der Alte seine zweite Portion Wut ausgetobt hatte.
     
    Zillich war mit seinem Herrn allein. Er behielt ihn im Auge, während er am Telefon herumstöpselte – direkter Anschluß an die Zentrale. Diesen verdammten Dietrich aus Fulda sollte man morgen wieder einsperren für diese Sudelarbeit. Zillich hatte die wachste Empfindung, wie die Zeit vertan wurde durch dieses idiotische Gestöpsel. Kostbare Sekunden, in denen sich sieben Pünktchen immer weiter und rascher entfernten, in eine uneinholbare Unendlichkeit. Schließlich kam die Zentrale, und er erstattete seine Meldung. Fahrenberg hörte sie daher in zehn Minuten zum zweitenmal. Sein Gesicht behielt zwar den Ausdruck unbestechlicher Härte, der ihm längst aufgezwungen war, obwohl dazu Nase und Kinn etwas zu kurz waren, aber der Unterkiefer rutschte ab. Gott, der ihm jetzt auch in den Sinn kam, konnte unmöglich zulassen, daß diese Meldung wahr sei, sieben Häftlinge aus seinem Lager auf einmal entflohen. Er starrte Zillich an, der ihm mit einem schweren finsteren Blick erwiderte, voll Reue und Trauer und Schuldbewußtsein. Denn Fahrenberg war der erste Mensch gewesen, der ihm vollkommen vertraute. Zillich wunderte sich nicht, daß einem immer dann etwas in die Quere kam, wenn es aufwärts ging. Hatte er nicht noch im November 1918 diesen ekelhaften Schuß bekommen? War ihm nicht sein Hof zwangsversteigert worden, einen Monat bevor das neue Gesetz herauskam? Hatte ihn nicht das Weibsstück damals wiedererkannt und ihn ein halbes Jahr nach der Stecherei ins Kittchen gebracht? Zwei Jahre lang hatte ihm Fahrenberg hier Vertrauen geschenkt bei dem, was sie unter sich Abrahmen nannten – die Zusammenstellung der Strafkolonne aus ausgesuchten Häftlingen und die Auswahl der Begleitmannschaft.
     
    Auf einmal läutete der Wecker, den Fahrenberg nach alter Gewohnheit auf dem Stuhl neben seinem Feldbett stehen hatte: sechs Uhr fünfzehn. Jetzt hätte Fahrenberg aufstehn sollen und Bunsen sich zurückmelden. Der gewöhnliche Tag hätte beginnen sollen. Fahrenbergs gewöhnlicher Tag, das Kommando über Westhofen.
     
    Fahrenberg fuhr zusammen. Er zog den Unterkiefer ein. Dann zog er sich mit ein paar kurzen Griffen fertig an. Er fuhr mit der feuchten Bürste über sein Haar, er putzte sich die Zähne. Er trat neben Zillich, sah auf den schweren Nacken herunter und sagte: »Die kriegen wir rasch wieder.« Zillich erwiderte: »Jawohl, Herr Kommandant!« Dann sagte er: »Herr Kommandant –« Er machte ein paar Vorschläge, im großen ganzen dieselben, die nachher durch die Gestapo ausgeführt wurden, als kein Mensch mehr an Zillich dachte. Seine Vorschläge zeigten überhaupt einen klaren und scharfen Verstand.
     
    Auf einmal unterbrach sich Zillich, beide horchten. Weit draußen hörte man einen feinen, dünnen, zunächst unerklärlichen Ton, der aber die Sirene übertönte und die Kommandos und das neue Scharren der Stiefel auf dem Tanzplatz. Zillich und Fahrenberg sahen sich in die Augen. »Fenster«, sagte Fahrenberg. Zillich öffnete, der Nebel kam in das Zimmer und dieser Ton. Fahrenberg horchte kurz hin, dann ging er hinaus, Zillich mit ihm, Bunsen wollte gerade die SA abtreten lassen, da entstand eine Unruhe. Man schleifte den Schutzhäftling Beutler gegen den Tanzplatz, den ersten eingefangenen Flüchtling.
     
    Das letzte Stück vor der noch nicht abgetretenen Mannschaft rutschte er allein. Nicht auf den Knien, sondern seitlich, vielleicht weil er einen Tritt abbekommen hatte, so daß sein Gesicht nach oben gedreht war. Und als er jetzt unter ihm wegrutschte, merkte Bunsen, was es mit diesem Gesicht auf sich hatte. Es lachte nämlich. Wie der Eingebrachte jetzt dalag in seinem blutigen Kittel und mit Blut in den Ohren, schien er sich förmlich in einem stillen Lachen zu winden mit seinem großen blanken Gebiß.
     
    Bunsen sah weg von diesem Gesicht auf Fahrenbergs Gesicht. Fahrenberg sah herunter auf Beutler. Er zog die Lippen von den Zähnen, so daß es einen Augenblick aussah, als ob sie einander anlachten. Bunsen kannte seinen Kommandanten, er wußte, was jetzt nachkam. In seinem eigenen jungen Gesicht ging
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