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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Autoren: Claudia Kern
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Sarazenen.«
    »Ihr habt darum gekämpft und verloren.« Diego zog Hugo aus dem Weg der Soldaten. »Und nenn sie nicht Sarazenen. Das sind Ayyubiden.«
    Ich hörte ihm kaum zu. Meine Gedanken kreisten um die Stadt – und um Jesus Christus. Ich glaubte ihn in den uralten Steinen und der kühlen Abendluft zu spüren. Er war mir so nahe wie nie zuvor.
    »Ich möchte das Heilige Grab sehen«, sagte ich.
    Diego schüttelte den Kopf. »Das wäre nicht sehr klug.«
    »Bitte. Es war unser Ziel vom ersten Tag an. Wie können wir Jerusalem besuchen, ohne es aufzusuchen?«
    Er zögerte. Nach einem Moment stimmte er zu.
    Wir gingen weiter durch die Gassen. Immer wieder warf ich den Blick an den Häuserfassaden entlang, sah überall Kirchen, Moscheen und Synagogen. Bei jedem Schritt entdeckte ich etwas Neues: hölzerne Balkone, die aus den Fassaden ragten, Hütten, die man auf Häuser gebaut hatte, Mauern, hinter denen Frauen in grünen Gärten saßen, christliche Mönche zwischen Juden und Moslems. Einige Menschen bemerkten Diegos Brandmal, aber niemand sagte etwas. Man grüßte uns und ging weiter den eigenen Geschäften nach.
    Schließlich blieb Diego auf einem Platz stehen. Händler säumten ihn. Ein Barbier schnitt einem Soldaten den Bart, während Kinder zusahen. Die Kirche, die am Rand des Platzes breit und mächtig stand, hatte eine runde Kuppel, auf der ein goldenes Kreuz prangte. Das schwere, weit mehr als mannshohe Eingangstor war geschlossen, doch eine kleine Pforte direkt daneben stand offen.
    »Das ist die Grabkirche«, sagte Diego. »Geht hinein. Ich warte hier.«
    Er wandte sich ab und ging zu einem Stand, an dem zwei Männer Fleischspieße über einem Feuer grillten.
    Durch die schmale Pforte betraten Hugo und ich das Innere der Kirche. Sie lag im Halbdunkel, und es war kühler als draußen. Die Basilika dehnte sich vor uns aus. Kerzen brannten unter kleinen Altären, vor denen Mönche knieten und beteten. Die Steinplatten, die den Boden bedeckten, waren an vielen Stellen aufgeplatzt.
    Wir knieten neben dem Weihwasserbecken nieder, bekreuzigten uns und standen auf. Ratlos blieben wir stehen. Wir wussten nicht, wonach wir suchten. War das Heilige Grab ein Steinsarg, ein Altar oder vielleicht ein erdbedeckter Hügel?
    »Wo ist es denn?«, flüsterte Hugo. Die Kirche schien ihn einzuschüchtern, und er blieb dicht neben mir. Wäre er jünger gewesen, hätte er wohl meine Hand gehalten.
    Ich hob die Schultern und zog mir den Schal, der mein Haar bedeckte, tiefer in das Gesicht. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich einer der Mönche erhob. Er musste sich an der Wand abstützen, sonst wäre er nicht hochgekommen. Er war ein alter Mann mit weißem Haarkranz und faltigem braunem Gesicht.
    Er kam auf uns zu, blieb stehen und sagte etwas, das ich nicht verstand.
    »Es tut mir leid, ich verstehe dich nicht.«
    Der Mönch blinzelte mit seinen wässrig blauen Augen. »Von wo stammt ihr?«, fragte er in akzentfreiem Deutsch.
    »Aus Win… Aus der Nähe von Köln.«
    Er nickte, als hielte er es nicht für ungewöhnlich, dass jemand um die ganze Welt reiste, um in dieser Kirche zu stehen.
    »Kommt«, sagte er.
    Langsam führte er uns durch die Basilika. Seine nackten Füße schlurften über den Stein. Wir gingen an einem großen, prächtigen Altar vorbei, dann blieb er stehen und zeigte in den dahinter liegenden Raum.
    »Dort ist, was ihr sucht. Betet für die, die ihr hinter euch gelassen habt, für die, die niemals erblicken werden, was Gott euch gewährt hat.«
    »Danke«, sagte ich. Hugo nickte nur stumm.
    Der Raum, den wir betraten, war rund, und in seiner Mitte, umgeben von großen Kerzenständern, eingebettet in orange flackerndes Licht, erhoben sich steinerne Säulen, viermal mannshoch, die in einer großen Kuppel mündeten. Mönche lagen auf dem Bauch ausgestreckt davor und bildeten mit ihren Körpern Kreuze.
    Es war ein hochherrschaftliches Grab, stolz wie eine Burg und reich verziert wie ein Palast. Kerzen hoch wie Häuser rahmten es ein. Die Wände rund um den kleinen Altar, der sich anstelle eines Sargs im Inneren befand, glitzerten und glänzten golden. Von schweren bestickten Vorhängen musterten uns Heilige. Zwischen all dem Prunk, der im Kerzenlicht funkelte, waren sie kaum zu erkennen. Ich wusste nicht, wieso mich der Anblick des Grabs enttäuschte, aber es war so. Wie ein Verrat fühlte es sich an.
    Neben mir fiel Hugo auf die Knie und begann zu schluchzen. Tränen liefen über seine Wangen, er faltete die
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