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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers
Autoren: Daniel Loy
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kümmerte, solange es nicht ihren Pflichten entgegenstand.
    Aber jetzt hatte von Reinenbach sie zu sich gerufen, und Meris ahnte, dass die ruhige Zeit auf dem Warteposten zu Ende ging.
    Sie hatte für den Anlass ein einfaches, geschlitztes Reisekleid aus graubraunem Filzstoff angezogen, das Schutz bot und doch nicht zu sehr behinderte. Mit der weißen Seidenbluse darunter wirkte sie vornehm, aber auf eine unauffällige und bürgerliche Weise. Ihr langes braunes Haar hatte sie zurückgebunden, den passenden Hut hielt sie in der Hand. Wenn es um eine Audienz beim Hofrat ging, war sie immer ein wenig unsicher, was ihre Garderobe betraf.
    Sie wollte nicht respektlos wirken und nicht nachlässig. Auf der anderen Seite wollte sie sich auch nicht so herausputzen, dass sie nicht mehr ernst genommen wurde   – immerhin war sie eine der erfahrensten Beauftragten für besondere Einsätze, die der geheime Dienst des Kaisers aufzubieten hatte. Meris hatte sich also Mühe gegeben für ihren Auftritt, doch Ennod von Reinenbach würde es vermutlich, wie jedes Mal, kaum bemerken.
    Andererseits, wer wusste das schon so genau?
    Ein Kanzleibote trat zu ihr. »Botin   … Meris? Folgt mir.« Er führte sie durch eine schwere Eichentür in den persönlichen Empfangsraum des Hofrats. Das geräumige Zimmer erinnerte an eine Bibliothek, nur dass in den Regalen an den Wänden weder Bücher noch Folianten aufbewahrt wurden, sondern Mappen mit Berichten. Ein wuchtiger Schreibtisch nahm die Mitte des Raums ein, ein paar bequeme Ledersessel standen darum herum.
    Ennod von Reinenbach stand neben dem Tisch, ein dürrer Mittfünfziger mit einem schwarzen Haarkranz und mit scharfen Zügen. Er war kein großer Mann, aber einen vollen Kopf größer als Meris. Er begrüßte sie mit einem Lächeln, das kaum mehr war als ein Kräuseln im Mundwinkel, und wartete ab, bis der Laufbursche das Zimmer wieder verlassen hatte.
    Dann wies er auf einen Sessel. »Setz dich, Meris.«
    Sie gehorchte wie von selbst, aber ihre Gedanken überschlugen sich. Ihre Unterredungen beim Hofrat hatten nie länger als ein paar Minuten gedauert, und nie zuvor hatte er sich die Mühe gemacht, ihr einen Platz anzubieten. Was für ein Auftrag mochte so wichtig sein, dass er ein ausführliches Gespräch dafür einplante?
    »Ist dir der Name Dauras ein Begriff?«, fragte der Hofrat. »Dauras der Schwertkämpfer.«
    »Ja«, gab Meris zurück. »Ich habe von ihm gehört.«
    Man kannte Dauras in ihren Kreisen. Dennoch, hätte von Reinenbach nicht ausdrücklich von einem »Schwertkämpfer« gesprochen, dann wäre ihr zu dem Namen nichts eingefallen. Sie hätte einfach nicht damit gerechnet, hier an diesem Ort von ihm zu hören. Dauras der Schwertmönch war eine Figur, über die man in den Schlafsälen der Schule in Sir-en-Kreigen flüsterte, eine etwas obskure Gestalt, um die sich zahlreicheunglaubwürdige Geschichten rankten. Keine ernsthafte Person, über die ein Hofrat sprach.
    Meris hatte Gerüchte gehört, dass Dauras einst in Horome gewesen war, damals, vor langer Zeit, kurz nachdem er das Kloster in Sir-en-Kreigen verlassen hatte. Es hieß, der Mönch habe alle bekannten Schwertschulen der Hauptstadt aufgesucht und die Besten zum Zweikampf gefordert. Dann habe er sie kurzerhand abgestochen, einen nach dem anderen, ohne dass es überhaupt zu so etwas wie einem Kampf gekommen wäre.
    Auf dieselbe Weise, so erzählte man sich, hatte er sich der bezahlten Schurken, Meuchelmörder und Söldner entledigt, die von den besorgten Schulen angeheuert worden waren und die ihm in den Gassen der Stadt auflauerten. Am Ende hatte Dauras das Gold genommen, das die Schwertschulen ihm anboten, damit er nicht mehr ihren Ruf bedrohte und ihre Meister umbrachte. Er war weitergezogen   – vor allem, so sagte man, weil er ohnehin nicht mehr damit rechnete, in der Hauptstadt einen Gegner zu finden, der einen Kampf wert war.
    Meris war noch ein Kind gewesen, als all das geschehen sein sollte. Sie kannte nur diese Geschichten, die wohl eher Märchen waren, aufgeblasene Legenden, wie Kinder sie untereinander erzählten.
    »Aber ich fürchte, Herr«, fügte sie deswegen hinzu, »was ich von diesem Dauras gehört habe, war arg übertrieben.«
    Die Stimme des Hofrats war kühl und ohne jede Spur von Humor, als er ihr antwortete: »Keineswegs. Glaube lieber, was du gehört hast. Sonst könnte dein nächster Auftrag schneller beendet sein, als wir beide es uns wünschen würden.«
    »Auftrag?«, fragte Meris.
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