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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers
Autoren: Daniel Loy
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die besten herausgesucht. Doch dann hatte das Mädchen überraschend zwei bessere gewählt. Sie war weit geschickter auf dem Pferd als er und erwies sich nicht als Bürde, während sie nach Westen ritten, fort von dem Fluss und hinein in das spärlich besiedelte Hinterland.
    Dauras war nicht allzu besorgt wegen der entkommenen Krieger. Allerdings wollte er Abstand gewinnen und an einem sicheren Platz alles Weitere überdenken.
    Das Tageslicht reichte noch eine Wegstunde, eine weitere Stunde ritten sie durch Dämmerung und Dunkelheit. Jetzt waren sie hier, in einem öden Streifen Brachland zwischen den Dörfern. Sie hockten in einer Kuhle unter den herabhängenden Ästen des einzigen Baumes weit und breit, und Dauras stocherte in dem kleinen Feuer, das er aus den Resten vertrockneten Buschwerks entfacht hatte.
    Das Mädchen hatte die ganze Zeit kein Wort gesprochen. Aber Dauras wollte wissen, worauf er sich da eingelassen hatte.
    War er zu weit gegangen?
    »Diese Männer, sie haben dich also entführt, Mädchen?« Er rückte ein Stück vom Lagerfeuer weg und hockte sich bequemer hin.
    Ihr Nicken war kaum zu bemerken, auch nicht für seine geschärften Sinne.
    »Wie heißt du, Kleine?«
    Sie zögerte kurz. »Aruda.«
    Dauras wartete, aber das war alles. Dauras wunderte sich. Sie war eine Dame von Stand, das bewies die Art, wie diese Ritter mit ihr umgegangen waren. Und für gewöhnlich posaunten diese Edlen den Namen ihrer Familie gern laut in die Welt hinaus, weil sie so stolz darauf waren.
    Er tastete sich weiter vor. »Was wollten diese Ritter   … diese Entführer von dir? Ein Lösegeld von deiner Familie?«
    Sie sah zu Boden. Ihre Stimme war so leise, dass Dauras sie kaum verstehen konnte. »Ich sollte heiraten. Einen Barbaren aus dem Norden.«
    »Und was sagt dein Vater dazu?«
    »Er hat mich hingeschickt. Mich verschenkt, aus einer Laune heraus.«
    Scheiße! So viel zu der einfachen Lösung   – dass er das Mädchen der Familie zurückbringen und eine Belohnung für die Rettung kassieren könnte.
    »Was hast du dir dabei gedacht, Kindchen?« Dauras schüttelte den Kopf. »Du kannst doch nicht einfach Anschuldigungen in die Welt setzen und fremde Leute in deine Familiengeschichten hineinziehen. Weißt du eigentlich, was du angerichtet hast?«
    Aruda hob den Kopf. Ihre Stimme war immer noch leise, aber sie klang fester. »Was hast du angerichtet?«
    »Was?«
    »Was hast du angerichtet?«, wiederholte das Mädchen. »Du hast sie alle getötet. Das Blut in dem Gasthaus   … Ich habe diese Männer nicht erschlagen! Und das habe ich auch von dir nicht verlangt.«
    Dauras beugte sich empört zu ihr hin. Er nestelte in seiner Gürteltasche, fühlte Papier zwischen den Fingern und zog es heraus. Mit einer Handbewegung faltete er es vor den Augen des Mädchens auseinander. »Was hast du denn erwartet, was passieren würde, nachdem du mir das da hingelegt hast?«
    In dem Moment, als er das Blatt glatt streichen wollte, merkte Dauras bereits, dass er das falsche erwischt hatte. Es war der Steckbrief mit seinem Gesicht darauf, den er den beiden Kopfgeldjägern abgenommen hatte. Einen Augenblick lang hielt er den Arm verlegen ausgestreckt und wusste nicht, was er tun sollte. Dann wedelte er das Papier zur Seite und ließ es ins Feuer fallen. Die Flammen loderten auf und verzehrten den teuren Kupferstich.
    »Wie dem auch sei«, murmelte Dauras. »Nicht wichtig. Du weißt, was ich meine.«
    Aruda schwieg. Dauras spürte, dass sie erschrocken war, obwohl sie den Steckbrief nur kurz gesehen hatte und gar nicht gelesen haben konnte, was für Anschuldigungen darauf standen.
    »Da war dein Gesicht darauf«, sagte sie schließlich.
    »Nein«, antwortete Dauras. »Ja. Ich meine, es ist nicht wichtig. Das Blatt ist ohnehin eine Fälschung.«
    »Du kannst nicht sehen.«
    Aruda stellte das Offensichtliche fest. Dauras sagte nichts.Er wandte nicht einmal die Augen von ihr ab, die Augen, die   – wie er wusste   – für jeden Menschen mit normalem Augenlicht grau wirkten und trübe und starr.
    »Du kannst nicht sehen«, wiederholte sie. »Ich habe das gar nicht bemerkt, bevor du von dem Tisch aufgestanden bist. Aber wie kannst du kämpfen, wenn du blind bist?«
    »Ich kann sehen«, widersprach Dauras. »Sogar besser als die meisten. Im Tempel nannten sie mich Dauras den Seher. Ich kann keine Farben unterscheiden, keine Schrift und keine Bilder wahrnehmen, das ist wahr. Je kleiner und feiner etwas ist, umso leichter entgeht es mir
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