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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers
Autoren: Daniel Loy
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die Menschen, wenn sie über den Kopf eines Mannes sprachen, vor allem die Augen erwähnten oder die Gedanken, die hinter der Stirn lebten, wo doch genau das die Dinge waren, die in Dauras’ Welt kaum eine Substanz hatten. Er nahm sie als das wahr, was sie in Wirklichkeit waren: substanzlose Löcher hinter den schweren Knochen, die den Schädel ausmachten.
    Dauras griff als Erster an. Als er die Parade des Abtes bemerkte, veränderte er die Richtung seines Hiebes. Die Klingen verfehlten einander, Dauras riss die seine zurück, und der Abt parierte sie dicht vor der Hüfte.
    Dauras wich dem Gegenangriff mühelos aus, und der Abt musste zur Seite springen und Dauras’ Klinge mit dem Knauf seiner Waffe nach unten schlagen, damit sie ihn nicht traf.
    »Wie lange lernst du an unserer Schule?«, fragte der Abt.
    »Was?«
    Dauras war einen Moment lang abgelenkt. Im letzten Augenblick bog er sich nach hinten. Die Klinge des Abtes wischte über seinen Kopf, und Dauras fühlte noch, wie ein paar feine Haarspitzen vor seinem Gesicht zu Boden sanken.
    »Konzentriere dich«, sagte der Abt.
    »Ich wurde in meinem vierten Lebensjahr aufgenommen«, sagte Dauras. Er griff wieder an. »Seit   … zehn Jahren also.«
    Die Schwerter klirrten aufeinander, so schnell, dass Dauras ihre Schatten als Nachbilder in seinem Geist sah. Zusammen mit dem Klang der Waffen verschmolz der Tanz der Schwerter zu einer einzigen Wolke von Stahl, die zwischen dem Abt und dem Novizen schwebte.
    Dauras konzentrierte sich auf die Eindrücke und ließ die Waffe noch rascher wirbeln. Die Handgelenke taten ihm weh.
    »Schon so lange«, sagte der Abt. »Und ich vermisse dieEleganz in deinen Bewegungen. Du schlägst zu, wie es dir gerade in den Sinn kommt. Hast du denn gar keine Figuren gelernt?«
    »Habe ich.« Dauras keuchte jetzt. Er biss die Zähne aufeinander und ließ einen Hagel von Schlägen auf den Abt niedersausen, sodass der alte Mann zurückwich. Der Abt parierte jeden Angriff mit den genau abgezirkelten Kombinationen, den Bildern , von denen Dauras die meisten kannte. Zumindest hatte er sie bei seinen Lehrern mitbekommen, auch wenn er nie die Notwendigkeit verspürt hatte, sie zu lernen. Der Meister allerdings kannte einige neue Kniffe und wechselte so schnell zwischen den Bildern, wie Dauras es noch nie erlebt hatte.
    Dennoch fand der Abt nie die Zeit, um selbst anzugreifen. Er wehrte nur ab. Dauras führte bei diesem Tanz, und er drängte den Abt zurück.
    Der Abt stolperte über einen der Mönche, die im Kreis hockten, und sprang über das Bein des Mitbruders hinweg. Dauras nutzte die Ablenkung sofort. Er stieß mit dem Schwert vor, und der Abt parierte die Klinge zu spät.
    Sie wischte über seine Kehle, und ein feiner roter Strich blieb zurück.
    Dauras hielt inne. Er triumphierte. Jeder Muskel tat ihm weh, seine Handgelenke vibrierten noch von den vielen Schlägen, die sie hatten ausfedern müssen. Seine Lungen brannten. Aber er nahm das Schwert in beide Hände, verneigte sich und grüßte mit einem breiten Grinsen.
    »Ich bedanke mich für diesen Kampf.«
    Der Abt stand vor ihm und ließ das Schwert sinken. Er fasste sich mit der Linken an den Hals und wischte mit der Fingerspitze einen Blutstropfen von dem Kratzer.
    »Du hast vieles gezeigt, junger Schüler«, sagte er. »Mehr, als du kontrollieren kannst.«
    Dauras fühlte, wie sein Triumph umschlug in Wut. »Immerhin habe ich gewonnen.«
    »Der Sieg im Kampf ist nicht alles«, sagte der Abt. »Wolltest du mich verletzen?«
    Dauras errötete. »Das ist doch nur ein Kratzer«, sagte er trotzig.
    »Also gut, Dauras: Wolltest du mich kratzen ?«
    »Natürlich nicht«, sagte Dauras. »Ich kenne die Regeln für den Freikampf: Man hält inne mit dem Schlag, wenn er die Haut berührt, aber bevor er sie ritzt. Doch welcher Fehler ist bedeutsamer: dass Ihr meinen Schlag nicht mehr parieren konntet oder dass ich ihn um die Breite eines Haares zu weit geführt habe?«
    Der Abt lächelte. »Für mich sollte es wohl wichtiger sein, deinen Schlag zu parieren. Dir allerdings sollte vor allem daran gelegen sein, dass du mit deinem Schwert genau das erreichst, was du erreichen willst. Nicht irgendetwas, was knapp daneben liegt. Über dem Sieg im Kampf steht die Kontrolle der eigenen Bewegung, die Einheit von Wille und Körper.«
    »Was für eine Rolle spielt das, solange man gewinnt?«
    »Vielleicht wirst du das erkennen, wenn du es versuchst«, erwiderte der Abt. »Etwas gering zu schätzen, was man
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