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Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Joseph Caldwell
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fruchtbaren Jahren zustande gebracht hatte, sieben Kinder, und zu guter Letzt diese einen Schlusspunkt setzende Blüte, die zum Verdruss der Familie das Haus erben sollte, das Vieh, das Weideland eines sie abgöttisch liebenden und abgöttisch geliebten Vaters. Eigensinnig verletzte er das Recht des Erstgeborenen, indem er sein Hab und Gut nicht dem ältesten Sohn, sondern der jüngsten Tochter vermachte. Durch diese perverse Handlungsweise ermutigt, machte es sich Kitty bald zur Gewohnheit, sich verzweifelt zu gebärden, sobald sie eine Unannehmlichkeit hinnehmen, geschweige denn akzeptieren sollte. Derart verwöhnt, betrachtete sie sich als ohne Fehl und Tadel, hatte mit niemandem, der anderer Auffassung war, Geduld, nicht etwa, weil die anderen im Unrecht waren, sondern weil ihnen ihrer Meinung nach ein kritisches Urteilsvermögen abging.
    Aaron mochte sie und hatte sie immer gemocht. Sie war es, die ihn gelehrt hatte, es ihr gleichzutun und aufsässig und ein bisschen hochnäsig zu sein. Sie hatte ihm Hartnäckigkeit beigebracht, in ihm den Unwillen geweckt, sich auf Rede und Gegenrede und auf Kompromisse einzulassen. Sie kamen gut miteinander aus. Trotzdem würde sie es nicht gern sehen, wenn man sie warten ließ – das galt auch für ihn. Aarons Besorgnis bestand zu Recht.
     
    Er lief weiter bergab, hielt dann aber plötzlich inne. Unversehens war er und mit ihm die Landschaft um ihn herum von einem dichten Schleier umgeben und in sanftes Dunkelgehüllt. Die Stadt lag nur noch schemenhaft da, das Meeresrauschen war verstummt. Allein die äußersten Ränder von den Wolkengebilden weit draußen über der Insel waren in Licht getaucht, helle, silbern glänzende Streifen. Hinten am Horizont schob sich von Westen eine Wolke vor den Sonnenball, als wollte sie mit Macht das Ende des Tages herbeiführen; Festland und Meer sollten doch zusehen, wie sie in ihrem Schatten zurechtkamen. Die Welt schien verlassen, vergessen, und das schon eine Ewigkeit, nicht als wäre sie noch einen Moment zuvor von Leben erfüllt gewesen. Aaron fühlte sich in die Zukunft versetzt – die Erde öde und leer, die See grau und teilnahmslos.
    Unwillkürlich musste er an eine Furcht aus Kindheitstagen denken, aber ehe sie ihn tatsächlich erfasste, durchlebte er erneut das Gefühl aus der Vergangenheit, weniger vom Verstand her, mehr als körperliche Empfindung. Er war mit seiner Großtante Molly, Kittys Mutter, unterwegs gewesen, einer beleibten und gemütvollen Frau mit einem rauen Lachen, aber voller Herzensgüte. Sie wollten auf eine über der Stadt liegende Bergeshöhe und kletterten durch Heide und Stechginster, als ohne jede Vorwarnung Nebel aufstieg, alles um sie herum verschlang und nichts Vertrautes oder Bekanntes mehr zu sehen war. Wahrscheinlich hatte er zu jammern begonnen, sie hatte amüsiert gelacht, seinen Kopf zwischen die rauen Hände genommen und ihm gut zugeredet. »Armes Kind, du bist überhaupt kein bisschen irisch, falls du es überhaupt jemals warst. Es ist nichts weiter passiert; wir erleben lediglich das tägliche Wunder, das uns Erfahrung und Weisheit lehrt. Wir sind in ein wundersames Geheimnis getaucht, das ist alles. Wir sind mittendrin und können es nicht ergründen. Alles ist ein Geheimnis, und wir nehmen es hin, Gott zum Ruhme. Hab also keine Angst und verhalte dich wie ein Ire, momentan zumindest. Sei klug und vernünftig. Lerne hier und jetzt, mit dem wundersamen Geheimnis zu leben. Auch, es mitins Grab zu nehmen. Ich drücke dir jetzt einen Kuss auf die Stirn, du Dummerchen« – was sie auch tat –, »und du wirst keine Angst mehr haben. Komm, ich nehme dich an die Hand, und wir gehen einfach weiter, auch wenn wir nichts sehen. Das ist nichts Besonderes, es ist immer so. Und dann essen wir den Kuchen, den ich in der Tasche habe.«
    Aaron war, als hätte sie ihm eben erst die Stirn geküsst. Er fuhr sich mit der Hand über die Stelle, die ihre Lippen berührt hatten, und schaute nach unten auf seine Füße. Die Kindheitserinnerung war verschwunden. Aber was noch weit erstaunlicher war, er spürte keine Seitenstiche mehr, konnte wieder vernünftig atmen und musste beim Gehen nicht mehr so gewaltsam keuchen. Die Wolke, mit dem von ihr ausgelösten Naturschauspiel zufrieden, zog Richtung Osten weiter und hoffte vielleicht, irgendwo in Nordfrankreich mit dem Mond ihren Schabernack zu treiben. Das Licht gewann wieder an Kraft, und die Welt kehrte, etwas schläfrig noch, zum Leben zurück. Aaron hob den Kopf.
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