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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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Zweiten Weltkrieg durchnahmen, fragte ich sie, was mit Hitler passiert sei. Sie antwortete, ohne zu zögern, Hitler sei nach Spanien ausgewandert. Ich fragte, was er denn dort gemacht hätte. Wieder antwortete sie schnell, er würde dort die Stierkampf-Arenen putzen, einen besseren Job hätten ihm die Spanier nicht geben wollen. Das sei wirklich eine harte Arbeit, er sei nun ein gebrochener alter Mann und achte trotzdem noch immer pingelig darauf, dass jedes Sandkorn an seinem Platz und das rote Tuch ordentlich gefaltet bereitliege.
    Ich starrte sie eine ganze Weile an und war mir sicher, sie würde gleich loslachen. Doch sie ging zum Glasschrank, holte eine Flasche Amaretto heraus und fügte nach einem großen Schluck seufzend hinzu:
    »Ja, das waren Zeiten damals. Wenn du mich fragst, hätten sie ihn einfach den Stieren zum Frühstück geben sollen. So viele Menschen wie der verhext hat; um den Verstand gebracht hat er das Volk, armes Deutsches Reich, zum Glück bin ich eine Spätgeburt.«
    Ramona war in jeder Hinsicht ein kleiner Mensch. Bis auf ihre Füße. Ich hatte schon mit dreizehn sehr große Füße, aber meine gehörten so, denn ich war zu diesem Zeitpunkt bereits 1 Meter 75. Ramona maß nur knapp 1 Meter 55 und hatte ständig enorm übel riechende Füße. Sie zwängte sie jeden Tag in zu enge Pumps. Seit ich mich erinnern konnte, legte sie sich nach der Arbeit ein paar Minuten auf den Küchentisch, richtete sich auf und zerrte sie dann von den geschwollenen Füßen. Man sah die weißen Abdrücke auf der nackten Haut. Sie rieb und massierte sich, bisder Fuß ganz rot war. Manchmal schminkte sie sich noch ab und duschte, aber meistens legte sie sich einfach nackt ins Bett.
    Ich wusste nur, dass Ramona in einem Heim aufgewachsen war. Sie erwähnte ihre Eltern mir gegenüber nie. Als ich sie einmal fragte, ob sie denn noch lebten, stand sie gerade am Fenster und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Sie tat, als hätte sie die Frage nicht gehört, und murmelte etwas von einer riesigen Flasche Bier, die am Himmel schwebte. Wie sich immerhin zu ihren Gunsten herausstellte, war das keine Vision, sondern der Werbeheißluftballon einer Brauerei. Ich habe immer versucht, sie zumindest ab und zu ein bisschen lieb zu haben. Denn, wenn ich entschied, sie einfach nur noch wie die Pest zu hassen, tat sie mir plötzlich leid, und ich hasste stattdessen mich. Ansonsten erschien sie mir trotz ihrer Sucht und Zierlichkeit allerdings nie bemitleidenswert oder gar zerbrechlich, eher wie ein kühnes Insekt. Ob es außer Reiner überhaupt jemanden gab, der Ramona mochte und sie so akzeptierte, wie sie war, kann ich nicht sagen. Und ich konnte mir Ramona beim besten Willen nicht als Kind vorstellen, sooft ich es auch versuchte, dieses Bild wollte einfach nicht entstehen.
    Einmal hob mich Ramona, Reiner war gerade nicht in der Nähe, ganz plötzlich auf ihren Schoß, drückte mich fest an sich und weinte leise. Als ich ihr dann vorsichtig über den Kopf strich, fing sie so furchterregend an zu schluchzen, dass sie es nicht einmal bemerkte, als ich mich aus ihrer Umarmung löste. Ich stand vor ihr, tippte ihr auf die Schulter und fragte:
    »Wie war denn das, als du ein Kind warst?« Sie hörte abrupt auf zu weinen, zündete sich eine Zigarette an, erhob sich, ging im Zimmer hin und her, sagte lange nichts, öffnete den Mund, runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Dann flüsterte sie: »Als ich klein war, war ich eben klein.«
    »Aber wie war das?«
    »So ähnlich wie jetzt, nur in Klein eben.«
    Sie sagte oft zu mir, ich sollte Scheiße noch mal dankbar sein, dass es mir so gutgehe, und gefälligst glücklich sein, den besten Vater der ganzen Welt zu haben.

EIN SAUBERER TOD
    Eine öde, adrette Mitschülerin, die mir in der sechsten Klasse versuchte, ihre Freundschaft aufzudrängen, fand meinen Vater damals immer furchtbar witzig. Sie verstand nie, wieso er mich nervte – sie konnte sich scheinbar endlos über jeden seiner Sprüche amüsieren. Das lag wohl daran, dass ihr eigener Vater sie nie besuchen kam. Er überwies ihr nur jeden Monat eine Menge Geld.
    Wir dagegen waren oft so pleite, dass Reiner mitten in der Nacht, nach Betriebsschluss, U-Bahn-Waggons putzen ging. Taschengeld erhielt ich immer nur dann, wenn Reiner einen Job bekam oder ich lange genug seine Therapiemaßnahmen ausgehalten hatte.
    Ein knappes Jahr nach Opas Tod wurde Reiner mal wieder arbeitslos, weil er in dem Kaufhaus, in dem er als Sicherheitsmann
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