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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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Sandkuchen und Hagebuttentee zu bringen. Als sie Blancos Brüste in Trixis Händen sah, fiel sie in Ohnmacht. Kaum hatte sie sich mit Blancos Hilfe wieder auf ihre dürren Beine gestellt und ihre zu großen Strumpfhosen glattgestrichen, plusterte sie sich auf, um ihre Tochter zu verbannen. Tante Trixi zog aus und kam nie wieder zurück. So war Oma Senta damals zumindest ein wenig erfreut, als sie von mir erfuhr. Immerhin schloss ich eine Lücke in der Familie, und ein uneheliches Kind war ihr allemal lieber als Julio Iglesias mit Brüsten.
     
    Ich versuchte Tante Trixi oft zu überreden, mich bei ihr einziehen zu lassen. Sie war zwar auch launisch, aber im Gegensatz zu allen anderen schien sie mir wirklich erwachsen. Ich hoffte, in ihrer Nähe zu sein, falls ein Atomkraftwerk hochging oder der dritte Weltkrieg ausbrach. Leider verstand sie nicht, dass ich ausgerechnet sie für besonders geeignet hielt, meine Fürsorge zu übernehmen. Sie erklärte, sie wolle einfach nicht ständig jemandem beim Frühstück begegnen oder sich das Bad teilen. Wäre ich erst mal in ihrem Alter und von Leben und Liebe gezeichnet, würde ich das schon verstehen. Sie beendete die Diskussion stets, indem sie sagte: »Sieh zu, dass du endlich aufhörst zu nuckeln, erwachsen wirst und einen klaren Kopf behältst, dann kannst du alles machen, was du willst und musst dich nicht mehr von kleinen versoffenen Schlampen nerven lassen!«
    Ich nahm den Daumen schnell aus dem Mund. Oft merkte ich gar nicht, dass ich es schon wieder tat.
     
    Seit Friedrich bei uns wohnte, sagte Ramona immer: »Dein Papa ist ein Katzenmann, einer, der sich sogar ins Vieh einfühlen kann, das lieb ich so an ihm!« Keine Ahnung, was sie damit meinte, mein Vater, der Katzenmann? Bis Friedrich zu uns gezogen war, hatte er nie Interesse an lebenden Tieren gezeigt. Ramona behauptete außerdem, Reiner sei ein besonders männlicher Mann, das erzählte sie jedes Mal den anderen Frauen beim Friseur, und dazu noch allerlei Details aus ihrem ach so tollen Sexleben. Ich hielt mir dann immer die Ohren zu oder lief, selbst im Winter, schnell ohne Jacke vor die Tür.
    Ich verstand nicht, was das heißen sollte: männlich.
    Reiner war sehr groß und hatte zu allem eine Meinung. Sein kaputtes Haar trug er immer lang, der stetig wachsende Bauch passte nicht mehr zu seinen dünnen Beinen. Er entwickelte früh einen Brustansatz und rasierte sich mit Ramonas Ladyshaver Hände und Füße, wenn er in der Badewanne lag. Statt Parfüm benutzte er in den gesamten neunziger Jahren ätherisches Ying-Yang-Öl, weil er in einem seiner Magazine gelesen hatte, der Duft würde die Seele ausbalancieren.
    Den Sommer über lief Reiner gern genauso nackt herum, wie es gerade noch legal war. Ich glaube, Ramona und er besaßen während meiner Kindheit keine einzige normale Unterhose. Zu Hause trugen sie am liebsten Tanga und Tierfuß-Puschen, dafür drehten sie schon im Frühherbst die Heizung hoch. Nie verbarg mein Vater sein lückenhaftes Gebiss aus gelben Zähnen. Oft wünschte ich mir, dass er nur mit geschlossenem Mund lachte.
    Ramona trug meist T-Shirts oder Pullover mit Tierfellmustern, die sie in ihre bauchnabelhohen Karottenjeans stopfte. Sie trug lange Zeit Kleidergröße 34 und betonte immer ihren platten Hintern und die schmale Taille. Dreimal in der Woche ging sie, seit ich denken kann, zum Bauchtanz. Auf einen Auftritt drängten wir schon lange nicht mehr. Sie behauptete: »Das hilft gegen Rücken.« Wenn sie lächelte, hielt sie im Gegensatz zu Reiner den Mund fest verschlossen. Sie schämte sich für ihren schiefen, vorstehenden Schneidezahn. Nur wenn sie schallend lachte, vergaß sie alles, sogar ihren Zahn.
    Abends las mir Ramona gelegentlich etwas vor. Bevor sie mit ihrer heiseren Stimme loslegte, sagte sie: »So, Stinker, jetzt machen wir mal einen auf Mutter und Kind!« Dann begann sie stockend zu lesen, hustete dabei und qualmte mein kleines Zimmer voll. Manchmal hörte sie plötzlich auf, starrte ins Leere und atmete durch den Mund. Ihr Mundgeruch war unerträglich, und ich kniff schnell die Augen zusammen und stellte mich tot. Sie las trotzdem einfach weiter und rauchte an meinem Bett ihre Feierabendzigarette. Seufzend stand sie irgendwann auf, furzte, vergaß, das Licht auszumachen, und knallte die Tür hinter sich zu.
    Während ich sie auf dem Flur Schleim abhusten hörte, kletterte ich schon auf die Heizung, um das Fenster zu öffnen. Ich legte mich auf den Rücken, hielt mich an
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