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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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Killertreppe aus und brach sich das Genick. Sie war noch viel geiziger gewesen als wir vermutet hatten: Wir erbten genug Geld, um Reiners Traum zu verwirklichen.

LEBEN KURZ
    Reiner und Ramona eröffneten einen Imbiss und nannten ihn Fehrmanns Spezialitäten.
    Tante Trixi zog in die unerwartet frei gewordene Haushälfte, zerschnitt Badematten und beklebte damit die Stufen der Killertreppe.
    Für uns gab es nun eine Drei-Zimmer-Wohnung über dem Imbiss. Ich bekam endlich ein Zimmer, das größer war als vier Quadratmeter, und Reiner musste nie wieder U-Bahn-Waggons putzen.
    Bei der Eröffnung glänzten alle Arbeitsflächen, Ramona war nüchtern und trug eine frische Dauerwelle. Reiner hatte den ganzen Tag über ein Grinsen im Gesicht. Die Spülmaschine schnurrte wie Friedrich, der hinten im Vorratsraum in einer Zwiebelkiste schlief. Der ganze Imbiss roch nach frischer Farbe und Zwiebelmett. Ich hörte sogar für einen Moment auf an meinem Daumen zu lutschen, damit Reiner mir einen Esslöffel Mett in den Mund schieben konnte. Ich ekelte mich stumm, hielt die Luft an, versuchte das rohe Fleisch mit möglichst wenig Kontakt zur Zunge in die Speiseröhre zu lenken, und würgte alles hinunter.
    Reiner meinte: »Meiner Tochter schmeckt es, guck mal, wie sie schlingt!«
    Ich lächelte, wie man mit aufsteigender Magensäure eben lächeln kann, und nahm mir vor, mich an alles, was noch kommen sollte, zu gewöhnen.
    So auch an Iris, Ramonas beste Freundin, die mich noch vor der Pubertät von meinem, wie Reiner es nannte, »sichtbaren Defekt« heilen sollte.
    Iris war eine Hexe. Jedenfalls verdiente sie als Hexe ihr Geld.
    Mein Vater nannte Iris gern »Irrnis« und pflegte zu sagen:
    »Irrnis braucht mal was zwischen die Beine, dann is Schluss mit Hui Buh!«
    Zunächst war er dagegen, dass Iris an mir »rumzaubert«. Er gab erst nach, als Ramona vorschlug, die Sitzungen könnten ja hinten im Vorratsraumdes Imbisses stattfinden. Das überzeugte meinen Vater. Hauptsache, er konnte »den ganzen Simsalabim« beaufsichtigen.
    Iris war sich sicher, dass am Morgen der Energiefluss am besten sei, und dass sie meine Aura sehen könne. Also radelte sie dreimal die Woche noch vor Schulbeginn mit ihrem Trekkingrad zu uns, und wir setzten uns im Vorratsraum auf zwei Fässer Sauerkraut.
    Während ich meinen Kaffee nicht anrührte, exte Iris ihren Becher, wickelte dann die Batiktücher von ihrer weißblonden Stoppelfrisur, stopfte sie in einen Armeerucksack, setzte sich mit ihrer knatschenden Lederhose vor mich auf den Boden und sagte: »Los, Schnucki, nimm wenigstens einen Schluck Kaffee, ich ertrag keine müden Kinder! Augen auf, fucking life get’s you anyway!«
    Ich tat, wie mir befohlen, während sie sich Sunblocker ins Gesicht schmierte und den Rest unter dem Shirt an ihrem Bauch abwischte. Dann griff sie nach meinen Händen und tunkte sie in eine grüne Flüssigkeit, die nach Spülmittel roch. Iris rollte mit den Augen, bis man nur noch das Weiße darin sah, murmelte immer wieder drei Worte in einer mir unbekannten Sprache und schrie zum Schluss auf wie ein Pfau. Reiner schaute herein, schenkte Kaffee nach und schüttelte den Kopf. Wieder leerte sie ihren Becher in einem Zug, zündete sich eine Zigarette an, legte den Kopf in den Nacken und sagte:
    »Was für ein scheißfrüher, ultimativ überflüssiger Morgen.«
    Beim ersten Mal erwiderte ich noch:
    »Warum das denn?«
    Doch als sie zusammenzuckte und mich mit ihren eisblauen Augen irritiert anstarrte, verstand ich, dass sie nicht mit mir gesprochen hatte.
    Iris rauchte ihre Zigarette jedes Mal in drei Zügen, sodass es knisterte und die Glut aussah wie ein winziges Laserschwert. Erst nach dem letzten Zug blies sie den gesamten Rauch mit einem lauten Stöhnen wieder aus und zerquetschte die Zigarette auf dem Fass. Meistens riss sie dann noch den Filter ab und schmiss ihn verächtlich in den Aschenbecher.
    An einem dieser Tage, auf dem Weg zum Imbiss, verknallte sich Iris an einer roten Ampel in einen betagten Fahrradkurier. Wochenlang faselte siemit Ramona über das Wunder der Liebe auf den ersten Blick. Dann stellte sich aber heraus, dass sich die beiden bereits kannten. Sie war ihm mit Anfang zwanzig schon mal auf Bali begegnet.
    Da sie damals beide schon ziemlich lange unterwegs waren, ganztags kifften, fest glaubten, braun wäre ihre natürliche Hautfarbe, und nur noch über das Nötigste und mit jedem Englisch sprachen, war ihnen in diesen Tagen gar nicht aufgefallen, dass sie
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