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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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sie meistens ab. Aus Verzweiflung schmierte ich mir irgendwann täglich den Kopf mit einer Intensiv-Öl-Haarkur von Ramona ein, die nach Marshmallows roch, doch von den Inhaltsstoffen bekam ich Schuppen und Pusteln auf der Stirn.
    Ein Gemeinschaftskundelehrer, der immer Pullover aus Viskose mit tiefem V-Ausschnitt ohne was drunter trug, meinte auf einem Skiausflug zu mir, nachdem er reichlich Grog in sich hineingeschüttet hatte: »Wenn sich nur alles zurechtgewachsen hat, wirst du ein schöner Schwan sein.« Und ich solle doch meine langen Filmstarbeine in Nylons stecken, das würde er gerne mal sehen!
    Das war das erste Kompliment meines Lebens.
    Eine Zeitlang war ich dann so dünn, dass mir ohne Gürtel alles die Hüften runterrutschte.
    Ramona behauptete, sie selbst sei geschnitten wie eine Asiatin. Die hätten auch auf wenigen Zentimetern perfekte Figuren und schmale Taillen.Ramona trug deshalb breite Stretchgürtel, mir schenkte sie zu meinem sechzehnten Geburtstag schwarze Wildleder-Pumps mit Zehn-Zentimeter-Absätzen. Das strecke den Arsch und mache einen graziösen Gang. Ich wankte wie auf Stelzen und trug lieber wieder die alten Turnschuhe von Tante Trixi. Die gingen bis über die Knöchel, waren mal weiß gewesen und hatten vorne jede Menge Löcher.
    Im Biologieunterricht sahen wir uns ein Bild von einem Vogel namens Schuhschnabel an. Ich fand, dass meine Nase seinem Schnabel ähnelte, aber es schien niemandem außer mir aufzufallen. Außerdem hatte ich ja schon einen Spitznamen. Sie nannten mich: Der Baum. Nicht einfach Baum, nein, ich war Der Baum – bis zum Abitur. Richtig gestört hatte es mich eigentlich nie.
    Dass es mir aber nicht immer egal war, was Leute, die ich für Idioten hielt, von mir dachten, wurde mir erst klar, als meine Klassenkameradin Bettina Mittelkorn in meinem Zimmer stand, um sich ein Buch, das sie mir geliehen hatte, wiederzuholen. Eigentlich stand sie sogar nur vor meinem Zimmer, aber gerade das war mir unter den damaligen Umständen äußerst unangenehm. Ich hatte das Buch ein paar Monate zuvor, während eines Arbeitsgruppentreffens, im Bücherregal ihrer Eltern entdeckt. Erst nach längerem Zögern willigte sie ein, es mir zu leihen, und notierte den Titel auf zwei Zettel, dazu jeweils meinen vollständigen Namen. Mit Rotstift schrieb sie darunter Ausleih- und Rückgabedatum.
    Beinahe gerührt von derart gewissenhafter Verwaltung unterschrieb ich besonders gut lesbar und salutierte zum Spaß. Bettina verzog keine Miene, legte einen Zettel in das Buch und klebte den anderen mit vier Streifen Tesafilm an das Bücherregal ihrer Eltern. Auf dem Zettel war als Rückgabedatum der darauffolgende Montag vermerkt.
    Zwei Montage verstrichen, ohne dass ich der Vereinbarung nachkam. Am dritten Montag machte sie mich in der ersten kleinen Pause mit rotfleckigem Gesicht darauf aufmerksam.
    Bettina war nicht der Typ Mensch, an den man dachte, wenn er nicht da war. Und ich dachte auch nicht mehr an das Buch, da mein Interesse an einer Vertiefung der Lektüre nach einiger Querleserei erloschen war. Alsowar das Buch nur noch das Buch von Bettina Mittelkorn. Obwohl das Buch überhaupt nicht zu ihr passte. Möglich, dass diese Konstellation zu dem Dilemma führte, das mit meiner Vergesslichkeit seinen Anfang genommen hatte. Jedes Mal, wenn ich in die Schule kam, erschrak ich bei Bettinas Anblick, und es tönte in meinem Kopf: Scheiße, Bettina Mittelkorn! Dann sagte ich: »Scheiße!« Und schlug mir kräftig auf die Stirn. Dabei versuchte ich, betrübt auszusehen.
    Bettina entwickelte, neben der Frustration über meine Ignoranz ihren täglichen Erinnerungen gegenüber, einen Eifer, der mich in meiner Haltung bestärkte. Sie erinnerte mich vor Schulbeginn an das Buch, während der großen Pause und wartete nach Schulschluss vor dem Gebäude auf mich.
    Ein paar Wochen blieb sie dabei beinahe höflich, dann wurde ihr Gesicht schon rot, wenn sie mich nur sah. Irgendwann begann sie, mich sogar am Wochenende anzurufen. Einmal meldete sich auch ihre nicht weniger devot-aggressive Mutter bei mir.
    Langsam, aber sicher verwandelte sich ihre tapfere, wohlerzogene Beharrlichkeit in eine trotzige, unartige Feindseligkeit. Aber kein einziges Mal schaffte sie es, über sich hinauszuwachsen. Ihre Konzentration auf schuldhaftes Bitten und Beharren verhinderte den Impuls zu der längst überfälligen, direkten Forderung, der ich sofort nachgegeben hätte. Sie rechtfertigte sich stets mit neuen Gründen, das Buch
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