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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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    Nach dem Tod meines Opas lud Oma Senta uns aus schlichter Einsamkeit dauernd in die Haushälfte ein. Es gab meist mehlige Kartoffeln und Fisch, der durch die ewige Kocherei von seinem brüchigen Skelett fiel, die wabbelige Haut aschgrau. Das Fischauge blickte mich tot aber aufmerksam an. Manchmal öffnete sich sein Stülpmaul und gab einen Kommentar ab: »Guck nicht so blöd, hässliches, nichtsnutziges Gör mit fettigen Haaren!«
    Oma Senta beobachtete mich oft eine Weile gemeinsam mit dem Fischauge und sagte dann: »Dieser Fisch ist ein Allesfresser, sozusagen das Schwein unter den Fischen. Der Mensch, Zelestine, ist auch ein Allesfresser. Das hat unser Gehirn so groß gemacht. Das hat uns nach Europa gebracht. Sonst säßen wir noch immer im afrikanischen Busch fest und hauten uns die Hängebrüste um die Ohren. Du magst wohl die deutsche Küche nicht, Zelestine?! An Traditionen kann man sich gewöhnen, an alles kann man sich gewöhnen, man kriegt nicht immer das, wozu man Lust hat, da wär ja sonst was los in der Welt, Kind! Das hab ich auch immer zu Beatrix gesagt, aber die wollte ja lieber mit ihrer Krankheit leben. Ich hab mich nicht gescheut, Beatrix zum Doktor zu bringen. Also das kann man mir nicht vorwerfen! Und der Doktor hat ihr was erzählt! Ich bin da extra rausgegangen, damit er sich nicht scheut. Das hab ich alles ertragen – das muss man erst mal aushalten als Mutter! Und was ist der Dank? Sie meldet sich nicht mal, wenn der Vater stirbt! Mein Essen mochte sie auch nie. Sie war schon immer eine Fremde im eigenen Haus gewesen. Nicht wahr, Reinerchen? Du lässt Zelestine doch nicht in die Nähe von Beatrix, oder? Die haben doch hoffentlich nichts miteinander zu tun?«
    »Nein, Mutti, natürlich nicht, will ja nicht, dass sie eine Lesbe wird und …«
    Da zischte Oma Senta:
    »Pssst, Reinerchen, nicht das Wort vor dem Kind sagen! Da kriegt es ja sonst einen Dachschaden. Davon muss man nichts wissen! Kind, schluck mal runter den Karpfen, sonst fängt der gleich wieder an zu leben!«
    Ich hielt die Luft an, schluckte unter Omas durchdringendem Blick alles runter und unterdrückte die Übelkeit, bis mir Tränen kamen. Sie lächelte milde: »Nicht weinen, dein Opa wollte ja nicht mehr! Und Oma auch nicht, vielleicht geh ich bald ins Wasser! Ich geh einfach runter zum Kanal um die Ecke. Der ist so schmutzig, da ist man verseucht, bevor man ertrinkt, so ist sie, die Welt von heute!«
    »Ach, Mutti, ich würd meines Lebens nicht mehr froh werden, wenn du ins Wasser gehst. Und Trixi würde das auch mitnehmen, das sag ich dir«, log Reiner. Ramona trank Omas Mariacron aus und hielt ausnahmsweise die Klappe.
    Oma Senta redete immer von Tante Trixi, wenn wir bei ihr zu Besuch waren. Eigentlich lief jedes Thema früher oder später darauf hinaus, weshalb ich annahm, dass sie sie sehr vermisste. Tante Trixi aber erwähnte Oma Senta mir gegenüber nur ein einziges Mal. Sie sagte, dass mehr oder weniger alle Frauen, die mit Männern ins Bett gehen, den Orgasmus vortäuschen. Und fügte hinzu, ihre Mutter hätte sogar eine ganze Ehe vorgetäuscht.
    Tante Trixi erklärte mir oft, wie die Welt und die Menschen funktionierten, genau wie Reiner und Oma Senta, ohne dass ich jemals danach gefragt hätte. Nur ihre Interessensgebiete unterschieden sich voneinander. Im Gegensatz zu Oma Senta erörterte Tante Trixi zum Beispiel andauernd das Thema Sexualität. Sie behauptete einmal, man könnte nicht nur am Tanzstil erkennen, wie jemand im Bett war, sondern erst recht daran, wie jemand lachte.
    Oma Senta lachte niemals. Manchmal setzte sie zu einem Lächeln an, doch dann konnte man förmlich sehen, wie sie es sich im letzten Moment doch noch anders überlegte.
    Reiner sagte, seine Mutter wäre schon immer eine saure Gurke gewesen und nicht erst, seit sie Mann und Tochter los war. Sie hatte ihre TochterBeatrix aus dem Haus geekelt, nur weil deren erste große Liebe Blanca hieß.
    Oma Senta hatte zunächst wochenlang geglaubt, es handele sich um einen Jungen, da Blanca sich Blanco nannte und zurechtmachte wie ein kleiner Gigolo. Oma Senta hatte eine Schwäche für Julio Iglesias und Rex Gildo. Blanca erinnerte sie ein wenig an beide. Sie hatte wegen ihrer Befürchtungen, Trixi könnte eine Lesbe werden, ja schon einiges unternommen, und war deshalb erleichtert, dass ihre Mühe nicht umsonst gewesen war. Blanco durfte jederzeit über Nacht bleiben. Eines Tages kam Oma Senta, ohne anzuklopfen, ins Zimmer, um
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