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Das Schwein unter den Fischen

Das Schwein unter den Fischen

Titel: Das Schwein unter den Fischen
Autoren: Jasmin Ramadan
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trotzdem weiter. Vor mir taucht eine kleine Stadt auf, links von der Stadt muss der kurze Anstieg, müssen die Treppen sein, nicht beschwerlich, solange man jung ist – so hat es Heinrich gesagt. Ich bin jung, aber todmüde und erschöpft. Ich gehe direkt in die Stadt hinein. Mir kommen Menschen entgegen, sie wickeln mich in Decken. Ich werde in ein Haus gebracht, erhalte sofort eine heiße Suppe. Ich esse unter wohlmeinenden Blicken ein paar Löffel, schlafe am Tisch ein und träume, wie jemand mich eine Treppe hochträgt und in ein Bett legt. Als ich aufwache, ist es hell. Ich liege in einem Ehebett, auf dem Nachttisch steht ein Tablett mit einer Flasche Wasser, einem riesigen Schinkensandwich, einer Tasse und einer Espressokanne auf einem Stövchen. An der Wasserflasche lehnt ein Blatt Papier, auf das in Kinderschrift geschrieben steht: »Buongiorno!« Darüber eine lachende Sonne. Auf dem Kissen neben mir liegt eine Zeitung. Auf dem Titelfoto sind Reiner, Tante Trixi, Dr. Ray und Pat zu sehen. Darunter sind Fotos von der Überschwemmung abgebildet. Reiner hält zwei Passfotos in die Kamera, eines von mir und eines von Ramona. Die Bilder sind auch noch einmal groß abgedruckt. Dr. Ray hält eine Zeichnung von dem Van in die Kamera.
    Auf einem Stuhl liegt ein geblümtes Kleid für mich. Ich schleiche ein wenig benommen die Treppe hinunter. Unten am Tisch sitzen eine Familie und zwei Polizisten beim Mittagessen. Sie reden miteinander und bemerken mich nicht.
    Auf der letzten Stufe angekommen, sage ich: »Buongiorno! Grazie!«
    Alle fangen sofort an, auf Italienisch auf mich einzureden, die Kinder ziehen mich zum Tisch. Der ältere der Polizisten spricht Deutsch.
    »Ihre Familie ist verständigt, sie holen Sie morgen früh ab. Ihr Vater hat gesagt, Sie sollen ausschlafen. Es geht allen gut. Ihr Onkel hat sich den Arm gebrochen. Sogar Ihre Mutter ist inzwischen gefunden. Sie erinnert sich an nichts, hat eine Amnesie, aber sonst ist sie in Ordnung. Sie können sich hier wie zu Hause fühlen!«
    Mit »Onkel« muss er Dr. Ray meinen.
    »Sie ist nicht meine Mutter, aber danke für die Informationen. Kann ich vielleicht duschen?«, frage ich.
    Der Polizist übersetzt, die Kinder zerren wieder an mir und bringen mich ins Bad. Reiner und Tante Trixi wissen, dass mit mir alles in Ordnung ist, also kann ich abhauen, bevor sie hier ankommen.
    Gewickelt in ein mit Fußbällen bedrucktes großes Handtuch, erkläre ich meinen Gastgebern, dass ich dringend jemanden suchen muss. Ich sage beinahe die Wahrheit, ich benutze das Wort »amore«. Die Mutter gibt mir meine trockenen, frisch gewaschenen Klamotten in einer Tüte und schenkt mir das Kleid,
Rock Romance!
liegt in einer neuen Hülle zwischen Salami, Nektarinen, einem Weißbrot, Rotwein und ein paar kleinen Flaschen Wasser. Ganz obenauf liegt eine neue Karte von der Gegend. Ich sage, dass ich zur Villa Alba muss, und bitte um meine alte Karte. Die Kinder wollen mir unbedingt den Weg zeigen, der Polizist übersetzt, dass die Kinder alle Schilder dorthin in die falsche Richtung gedreht haben. Die Mutter bringt meine alte Karte. Ich zeige ihnen, dass der Weg darauf genau eingezeichnet ist. Sie nicken, deuten an, es sei nur ein kurzes Stück. Der Polizist verspricht, meiner Familie Bescheid zu geben. Als ich mich schon verabschiedet habe, sagt die Mutter etwas zu dem Polizisten. Er ruft mich zurück, übersetzt, sie wolle wissen, ob ich eine Leiche gesehen habe, ob eine vorbeigeschwommen sei. Ich schüttele den Kopf, alle sind darüber sehr erfreut, und der Polizist erklärt, wenn eine Leiche an einem vorbeischwimme, bringe das Unglück und sei außerdem nicht gut für die Seele. Ich erkundige mich, ob es denn Tote gegeben habe. Der Polizist antwortet:
    »Bisher hat man nur einen Toten gefunden, einen Deutschen.«
    »Ist seine Identität geklärt?«, frage ich.
    »Ja, es handelt sich um einen Im- und Export-Millionär namens Knott. Er hatte ein Hakenkreuz auf den Po tätowiert. Obwohl er so ein reicher Mann war, hat er trotzdem gecampt. Wirklich seltsam, diese Deutschen.«
    Ich mache mich auf den Weg, winke immer wieder, bis ich die Familie und die Polizisten nicht mehr sehe.
    Die Treppen, von denen Heinrich gesprochen hat, sehe ich schon bald von weitem. Es gibt keinen Nebel, keinen Regen, der Himmel strahlt blau, die Sonne brennt, der See funkelt. Es sind viel mehr Stufen, als ich dachte, und jede scheint mir ein wenig höher als die vorige. Ich setze mich, esse eine Nektarine
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