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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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paradoxerweise unternahm er seine Reisen, um ihr näher zu kommen, um den gemeinsamen Alltag mit zündendem Stoff zu füllen und ihre intime Beziehung zu intensivieren. Vor ihrer Schönheit blieb ihm nichts anderes übrig, als zum Helden zu werden. Eine Frage der Ausgewogenheit.
    Ende 1992 begann Mark mit einer umfangreichen Reportage über die sizilianische Mafia. Seine Route führte ihn durch mehrere Städte, Palermo, Messina, Agrigent. Er überredete Sophie, am Ende seiner Reise zu ihm zu stoßen, und erwartete sie in Catania, am Fuß des Ätna.
    Dort, in der Stadt aus Lavagestein, wiederholte sich das Drama.
    Sophie starb am 14. November 1992. Niemals würde er diesen Tag vergessen. Die geheiligte Frau, die Pythia, wurde von derselben Farbe verschlungen wie d’Amico: Rot. So jedenfalls stellte er es sich im Nachhinein vor, denn er hatte nicht die leiseste Erinnerung. Als er ihre Leiche fand, verlor er das Bewusstsein und versank in einem traumlosen Schlaf. Alles war genau so wie beim ersten Mal. Die Entdeckung der Leiche. Der Schock. Das Koma.
    In einem Pariser Krankenhaus wachte er wieder auf. Mit großer Behutsamkeit erklärte man ihm, was geschehen war. Zwei Monate waren vergangen. Man hatte ihn nach Paris verlegt. Sophie war in der Nähe ihrer Familie, in der Gegend von Avignon begraben. Mark konnte nicht mehr sprechen. Von überall her kehrten die alten Gespenster zurück: seine Schwester, die Amnesie-Experten, der Psychiater, der ihn schon beim ersten Mal behandelt hatte. Er hörte zu, aß, schlief. Aber er empfand nichts, nicht das Geringste – er spürte nur einen zementähnlichen Geschmack im Mund, wie nach einer sehr langen Sitzung beim Zahnarzt. Dieser Geschmack drang in ihn ein, breitete sich in ihm aus und lähmte ihn. Er versteinerte, war keines Gedankens, keiner Reaktion mehr fähig.
    Er brauchte zwei Wochen, bis er wieder aufstehen konnte. Er musterte sich im Spiegel und fand sich bloß abgemagert. Seine Haut hatte die Farbe von Gips, und sein Atem verströmte noch immer diesen Geruch nach Mörtel.
    Einen Monat später konnte er wieder klar denken. Er begriff, dass er alles verloren hatte. Nicht nur Sophie, sondern auch die letzte Erinnerung an Sophie. Dieses schwarze Loch verfolgte ihn, während er im Pyjama durch die Klinikflure wanderte, wie ein Riss in der Zeit: Diese ausgelöschte Seite würde ihm immer fehlen, kein Ersatz die Lücke je schließen.
    Als Nächstes erfasste er das Ausmaß seiner Verwandlung. Mit d’Amicos Tod hatte er die Lust an der Musik verloren. Jetzt verlor er die Lust am Leben, an der Zukunft, an jeglicher Aktivität. Er ließ sich in eine Spezialklinik einweisen und bezahlte den Aufenthalt vom Erlös des Hauses in Sommières. Monate vergingen. Im Spiegel sah sich Mark von Tag zu Tag dürrer werden. Hostiengleicher Teint, spitz vorspringende Wangenknochen. Er entmaterialisierte sich, hatte der Welt, die ihn draußen erwartete, kein Gewicht mehr entgegenzusetzen.
    Und doch fand er einen Ausweg: den Zynismus.
    Sich von Sophies Tod zu erholen hieß, das Schlimmste überstehen. Er wollte seinen Beruf wieder aufnehmen, allerdings ohne Skrupel und ohne Illusion. Er würde nur noch für die Kohle arbeiten. Und so viel Kohle wie möglich herausschlagen. Er kannte die Medien gut genug, um zu wissen, dass nur ein einziger Weg sich wirklich auszahlte: Prominentenjagd und Indiskretion. An dem Morgen, an dem er seinen Entschluss fasste, lächelte er sich unter dem Schnurrbart an, den er sich hatte wachsen lassen, um sein asketisches Gesicht ein wenig zu polstern.
    Nachdem es keine Hoffnung mehr gab, wollte er seine Hoffnungslosigkeit gewinnbringend nutzen … Und Paparazzo werden.
Tiefer konnte ein Journalist nicht sinken. Ein Paparazzo, das war das unterste Ende. Keine Werte, keine Prinzipien, alles ist erlaubt, so lang es nur einträglich ist. Gleichzeitig war es ein anstrengender Job voller Nervenkitzel, der sehr viel Ermittlungsarbeit verlangte. Mehr noch, man musste zum Spürhund werden, auf der Lauer liegen, sich verstellen, hochstapeln. Zu schweigen von den Gefahren, die durchaus real waren: In diesem Beruf zählte keiner, wie oft er auf die Schnauze gefallen, wie viel Material dabei zu Bruch gegangen war. Genau das Richtige für ihn. Er war kein Fotograf, aber als Ermittler würde ihm keiner so leicht das Wasser reichen.
Ein Knüllerfänger.
Tatsächlich wurde er innerhalb weniger Jahre einer der Besten seines Standes. Das heißt, einer der Schlimmsten. Ein Schnüffler,
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