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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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wo der eigentliche Dschungel einem Bambuswald weicht. Jetzt zwingen sie sich zur Ruhe, sie marschieren stumm weiter. Sie haben entdeckt, was sie suchten: das getarnte Dach einer Hütte. Sie nähern sich. Die Tür ist verschlossen. Ohne zu zögern rammen sie ihre Harpunen hinein und reißen sie heraus.
    Was sie sehen, ist ein Anblick aus der Hölle. Ein Mann, ein mat salleh (ein Weißer), kauert mit nacktem Oberkörper halb besinnungslos vor der Türschwelle. Im hinteren Teil der Hütte ist eine Frau an einen Sitz gefesselt, ihr Körper ist eine einzige blutende Wunde. Zu ihren Füßen liegt die Tatwaffe: ein Tauchermesser.
    Die Fischer packen den Täter und schleifen ihn zum Strand hinunter, wo schon ein Galgen auf ihn wartet. In dem Moment aber kommt es zu einer überraschenden Wende: Die Polizisten aus Mersing, einer zehn Kilometer nördlich von Papan gelegenen Stadt, treten auf den Plan. Von Augenzeugen herbeigerufen, treffen sie gerade rechtzeitig ein, um den Lynchmord zu verhindern. Der Mann wird gerettet und im zentralen Polizeirevier von Mersing inhaftiert.
    Das ist die verblüffende Szene, die sich vor drei Tagen unweit der Grenze zu Singapur abgespielt hat. In Wahrheit ist sie weniger erstaunlich, als es den Anschein hat. Standrechtliche Hinrichtungen sind in Südostasien noch recht verbreitet. Ungewöhnlich ist diesmal aber der mutmaßliche Täter: Jacques Reverdi, ein Franzose, der kein Unbekannter ist. Als Freitaucher von internationalem Rang hat er zwischen 1977 und 1984 in den Kategorien »No Limits« und »Konstantes Gewicht« mehrfach den Weltrekord gebrochen.
    Nach seinem Ausstieg aus dem aktiven Tauchsport Mitte der Achtziger lebt der heute 49-Jährige seit mehr als fünfzehn Jahren als Tauchlehrer in Südostasien, abwechselnd in den Ländern Malaysia, Thailand und Kambodscha. Nach den Aussagen der ersten Zeugen war er ein freundlicher, umgänglicher Mensch, aber auch ein Einzelgänger, der es vorzog, in den abgeschiedenen kleinen Buchten der Küstenregion ein Robinson-Dasein zu führen. Was ist am 7. Februar 2003 geschehen? Wie ist die Leiche einer jungen Frau in die Hütte gelangt, die er seit mehreren Monaten bewohnte? Und warum wollten die malaiischen Fischer sofort Selbstjustiz üben?
    Jacques Reverdi war bereits 1997 in Kambodscha wegen Mordes an Linda Kreutz, einer jungen deutschen Touristin, festgenommen, aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen worden. In Südostasien jedoch hatte die Sache weite Kreise gezogen. Als er sich in Papan niederließ, erkannten alle ihn wieder – und behielten ihn im Auge. Als bekannt wurde, dass eine Dänin, eine gewisse Pernille Mosensen, zu ihm in seine Hütte gezogen war, wuchs der Argwohn. Dann war die junge Europäerin mehrere Tage nicht im Dorf gesehen worden – mehr brauchte es nicht, um den schwelenden Verdacht auflodern zu lassen und die Gemüter zu erhitzen …Ersten Verlautbarungen zufolge stellten die Ärzte im Allgemeinen Krankenhaus von Johor Baharu an den Gliedmaßen, im Gesicht, an der Kehle, am Rumpf sowie in der Genitalregion der Leiche siebenundzwanzig Wunden fest, »zugefügt mit einer Hieb-, Stich- und Stoßwaffe«. Ein »pathologisches Gemetzel«, kommentierten die Experten auf der am 9. Februar abgehaltenen Pressekonferenz.
    In Malaysia reden die Zeitungen bereits von amok, jenem wütenden Zerstörungs- und Tötungswahn, der sich gelegentlich der malaiischen Eingeborenen bemächtigt.
    Nach einer Nacht in Mersing wurde Reverdi in das psychiatrische Krankenhaus von Ipoh verlegt, die bekannteste Fachklinik von Malaysia. Seit seiner Festnahme hat er kein Wort gesprochen, anscheinend steht er unter Schock. Nach Meinung der Ärzte ist dieser posttraumatische Zustand vorübergehender Natur. Wird er, sobald er wieder bei Sinnen ist, ein Geständnis ablegen? Oder wird er seine Unschuld beteuern?
    Wir, die Redaktion des Limier, sind fest entschlossen, Licht in den Fall zu bringen. Schon am Tag nach der Festnahme ist unser Team auf den Spuren von Jacques Reverdi nach Kuala Lumpur aufgebrochen. Wir wollen seine Route nachzeichnen und überprüfen, ob noch weitere Leichen seinen Weg pflastern …Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besitzen wir exklusive Informationsquellen, die darauf hindeuten, dass es sich lediglich um die Spitze des Eisbergs handelt. In unserer nächsten Ausgabe erfahren Sie sehr mehr über das geheime Gesicht dieses unheilbringenden »Fürsten der Meere«.
    Mark Dupeyrat, Sonderberichterstatter des Limier, aus Kuala
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