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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Lumpur
KAPITEL 3
    Mark Dupeyrat lächelte, als er die letzten Zeilen seines Artikels überflog.
    Das erwähnte »Team« bestand aus ihm selbst, und seine Reise hatte ihn nicht über das 9. Pariser Arrondissement hinausgeführt. Was seine »exklusiven Informationsquellen« betraf, so beschränkten sie sich auf ein paar Kontakte mit dem Büro der AFP in Kuala Lumpur und die malaiischen Tageszeitungen. Wirklich nicht beeindruckend. Er öffnete seine Mailbox, tippte ein paar Zeilen an Verghens, seinen Chefredakteur, und hängte den Artikel an. Dann schloss er sein Notebook an die erstbeste Telefonbuchse an und schickte die Nachricht ab.
    Während er das Symbol beobachtete, das ihm die Übertragung der Daten anzeigte, hing er seinen Gedanken nach. Dass er die Wahrheit hin und wieder frisieren musste, war reine Routine. Le Limier pflegte sich nicht mit Skrupeln herumzuschlagen: Nicht umsonst nannte er sich »Der Spürhund«. Trotzdem würde sich Verghens damit noch nicht zufrieden geben: Sein Magazin, das sich auf spektakuläre Verbrechen und Sensationsmeldungen aller Art spezialisiert hatte, war es sich schuldig, der Konkurrenz immer um eine Nasenlänge voraus zu sein. In diesem Fall hinkte Mark eher Tausende Kilometer hinterher …Er reckte sich und ließ den Blick durch das braungoldene Halbdunkel ringsum, über Ledersessel und blankpoliertes Kupfer, wandern. Vor Jahren schon hatte Mark sein Hauptquartier in dieser luxuriösen Hotelbar nahe der Place Saint-Georges aufgeschlagen, weil sie nur ein paar hundert Meter von seinem Atelier entfernt war: Er schwor auf diese altenglische Pubatmosphäre, in der sich die Kaffeedüfte mit Zigarrenrauch mischten und Stars in aller Diskretion Interviews gaben.
    Im stillen Kämmerchen konnte er nicht schreiben. Als Student, ja schon zu Schulzeiten hatte er seine Hausarbeiten in überfüllten Cafés erledigt, eingebettet in Stimmengewirr und das Fauchen der Espressomaschinen. Die menschliche Gegenwart half ihm, die Schreibblockade zu überwinden. Und die Angst vor sich selbst: Mark fürchtete sich vor der Einsamkeit. Vor einer leeren Wohnung, in die sich ein Fremder einschleichen konnte, um ihn umzubringen. Jähe Kälte überkam ihn wie ein Luftzug, der durch seinen Körper fuhr. Mit vierundvierzig war er noch immer nicht über seine kindlichen Albträume hinaus.
    »Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
Der Kellner im weißen Jackett musterte zuerst ihn, dann dieUnterlagen, die sich über zwei Tische breiteten:
»Dies ist eine Bar, mein Herr, keine Bibliothek.«
Mark kramte in der Hosentasche und fand darin ein paarMünzen.
In spöttischem Ton fügte der Kellner hinzu:
»Einen Kaffee vielleicht? Mit einem Glas Wasser?« »Mit einem Glas Wasser. Unbedingt.«
Der Kellner entfernte sich. Mark betrachtete die imLampenlicht schimmernden Euromünzen in seiner Hand, die seine finanzielle Situation treffend ausdrückten. In Gedanken ging er seine privaten Reserven durch und fand nichts, weder auf der Bank noch anderswo. Wie hatte er sich so herunterwirtschaften können? Er, der noch vor zehn Jahren einer der bestbezahlten Reporter von Paris gewesen war?
    Er stellte eine Münze hochkant auf den Tisch und brachte sie mit zwei Fingern zum Kreiseln. Der Anblick erinnerte ihn an eine Laterna magica, die sein Leben wie einen Film vor ihm ablaufen ließ. Welchen Titel müsste er ihm geben? Er überlegte kurz und entschied sich für »Porträt eines Besessenen«.
    Besessen vom Verbrechen.
Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen.
    Mit dem Klavier. In seinen jungen Jahren war Mark der festen Überzeugung gewesen, dass sein Dasein wie eine Partitur geordnet sei. Musikunterricht im Gymnasium. Konservatorium in Paris. Konzerte und Platteneinspielungen. Als Pianist legte Mark Wert auf Pragmatismus und lehnte jegliches Pathos, jedes Abgleiten in romantisches Gefühl strikt ab. Spielte er die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, so benutzte er niemals das Pedal, sondern arbeitete den mathematischen Charakter des Kontrapunkts heraus. Spielte er Chopin, sorgte er für ein möglichst dezentes Rubato der linken Hand, um das Stück nicht ins Schlingern geraten zu lassen wie ein leckes altes Schiff. Und bei Rachmaninow liebte er es, die Melodie im Zweivierteltakt mit angespannter, geradliniger Strenge von den Triolen der linken Hand abzusetzen.
    So liefen die Gewissheiten unter seinen Fingern dahin. Nicht den kleinsten falschen Ton zog er für sein Leben in Betracht. Doch er kam, der falsche Ton, mit
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