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Das Schloß

Das Schloß

Titel: Das Schloß
Autoren: Franz Kafka
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unbequemen Schlitten genommen habe, weil er gerade bereit stand und das Hervorziehn eines andern zu viel Zeit gebraucht hätte. »Setzt Euch«, sagte er und zeigte mit der Peitsche hinten auf den Schlitten. »Ich werde mich neben Euch setzen«, sagte K. »Ich werde gehn«, sagte Gerstäcker. »Warum denn?« fragte K. »Ich werde gehn«, wiederholte Gerstäcker und bekam einen Hustenanfall, der ihn so schüttelte, daß er die Beine in den Schnee stemmen und mit den Händen den Schlittenrand halten mußte. K. sagte nichts weiter, setzte sich hinten auf den Schlitten, der Husten beruhigte sich langsam und sie fuhren.
    Das Schloß dort oben, merkwürdig dunkel schon, das K. heute noch zu erreichen gehofft hatte, entfernte sich wieder. Als sollte ihm aber noch zum vorläufigen Abschied ein Zeichen gegeben werden, erklang dort ein Glockenton, fröhlich beschwingt, eine Glocke, die wenigstens einen Augenblick lang das Herz erbeben ließ, so als drohe ihm – denn auch schmerzlich war der Klang – die Erfüllung dessen, wonach es sich unsicher sehnte. Aber bald verstummte diese große Glocke und wurde von einem schwachen eintönigen Glöckchen abgelöst, vielleicht noch oben, vielleicht aber schon im Dorfe. Dieses Geklingel paßte freilich besser zu der langsamen Fahrt und dem jämmerlichen aber unerbittlichen Fuhrmann.
    »Du«, rief K. plötzlich – sie waren schon in der Nähe der Kirche, der Weg ins Wirtshaus nicht mehr weit, K. durfte schon etwas wagen – »ich wundere mich sehr, daß Du auf Deine eigene Verantwortung mich herumzufahren wagst. Darfst Du denn das?« Gerstäcker kümmerte sich nicht darum und schritt ruhig weiter neben dem Pferdchen. »He«, rief K., ballte etwas Schnee vom Schlitten zusammen und traf Gerstäcker damit voll ins Ohr. Nun blieb dieser doch stehn und drehte sich um; als ihn K. aber nun so nahe bei sich sah – der Schlitten hatte sich noch ein wenig weiter geschoben – diese gebückte, gewissermaßen mißhandelte Gestalt, das rote müde schmale Gesicht mit irgendwie verschiedenen Wangen, die eine flach, die andere eingefallen, den offenen aufhorchenden Mund, in dem nur paar vereinzelte Zähne waren, mußte er das was er früher aus Bosheit gesagt hatte, jetzt aus Mitleid wiederholen, ob Gerstäcker nicht dafür, daß er K. transportiere, gestraft werden könne. »Was willst Du?« fragte Gerstäcker verständnislos, erwartete aber auch keine weitere Erklärung, rief dem Pferdchen zu und sie fuhren wieder.
    Als sie – K. erkannte es an einer Wegbiegung – fast beim Wirtshaus waren, war es zu seinem Erstaunen schon völlig finster. War er solange fort gewesen? Doch nur ein, zwei Stunden etwa, nach seiner Berechnung. Und am Morgen war er fortgegangen. Und kein Essensbedürfnis hatte er gehabt. Und bis vor kurzem war gleichmäßige Tageshelle gewesen, erst jetzt die Finsternis. »Kurze Tage, kurze Tage«, sagte er zu sich, glitt vom Schlitten und ging dem Wirtshaus zu.
    Oben auf der kleinen Vortreppe des Hauses stand, ihm sehr willkommen, der Wirt und leuchtete mit erhobener Laterne ihm entgegen. Flüchtig an den Fuhrmann sich erinnernd blieb K. stehn, irgendwo hustete es im Dunkel, das war er. Nun, er würde ihn ja nächstens wiedersehn. Erst als er oben beim Wirt war, der demütig grüßte, bemerkte er zu beiden Seiten der Tür je einen Mann. Er nahm die Laterne aus der Hand des Wirts und beleuchtete die zwei; es waren die Männer, die er schon getroffen hatte und die Artur und Jeremias angerufen worden waren. Sie salutierten jetzt. In Erinnerung an seine Militärzeit, an diese glücklichen Zeiten, lachte er. »Wer seid Ihr?« fragte er und sah von einem zum andern. »Euere Gehilfen«, antworteten sie. »Es sind die Gehilfen«, bestätigte leise der Wirt. »Wie?« fragte K., »Ihr seid meine alten Gehilfen, die ich nachkommen ließ, die ich erwarte?« Sie bejahten es. »Das ist gut«, sagte K. nach einem Weilchen, »es ist gut, daß Ihr gekommen seid.« »Übrigens«, sagte K. nach einem weiteren Weilchen, »Ihr habt Euch sehr verspätet, Ihr seid sehr nachlässig.« »Es war ein weiter Weg«, sagte der eine. »Ein weiter Weg«, wiederholte K., »aber ich habe Euch getroffen, wie Ihr vom Schlosse kamt.« »Ja«, sagten sie ohne weitere Erklärung. »Wo habt Ihr die Apparate?« fragte K. »Wir haben keine«, sagten sie. »Die Apparate, die ich Euch anvertraut habe«, sagte K. »Wir haben keine«, wiederholten sie. »Ach, seid Ihr Leute!« sagte K., »versteht Ihr etwas von
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