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Das Schloß Duerande

Das Schloß Duerande

Titel: Das Schloß Duerande
Autoren: Josef Freiherr von Eichendorff
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sie endlich mit klopfendem Herzen ins Freie.
    Draußen schaute sie sich tief aufatmend nach allen Seiten um, ja, sie wagte es sogar, noch einmal bis an den Gartenzaun zurückzugehen,
     aber ihr Liebster war nirgends zu sehen, nur die Schatten der Bäume schwankten ungewiß über den Rasen. Zögernd betrat sie
     nun den Wald und blieb immer wieder stehen und lauschte; es war alles so still, daß ihr graute in der großen Einsamkeit. So
     mußte sie nun endlich doch weitergehen und zürnte heimlich im Herzen auf ihren Schatz, daß er sie in ihrer Not so zaghaft
     verlassen. Seitwärts im Tal aber lagen die Dörfer in tiefer Ruh. Sie kam am Schloß des Grafen Dürande vorbei, die Fenster
     leuchteten im Mondschein herüber, im herrschaftlichen Garten schlugen die Nachtigallen und rauschten die Wasserkünste; das
     kam ihr so traurig vor, sie sang für sich das alte Lied:
    Gut Nacht, mein Vater und Mutter,
Wie auch mein stolzer Bruder,
Ihr seht mich nimmermehr!
Die Sonne ist untergegangen
Im tiefen, tiefen Meer.
    Der Tag dämmerte noch kaum, als sie endlich am Abhange der Waldberge bei dem Kloster anlangte, das mit verschlossenen Fenstern,
     noch wie träumend, zwischen kühlen, duftigen Gärten lag. In der Kirche aber sangen die Nonnen soeben ihre Metten durch die
     weite Morgenstille, nur einzelne, früh erwachte Lerchen draußen stimmten schon mit ein in Gottes Lob. Gabriele wollte abwarten,
     bis die Schwestern aus der Kirche zurückkämen, und setzte sich unterdes auf die breite Kirchhofsmauer. Da fuhr ein zahmer
     Storch, der dort übernachtet, mit seinem langen Schnabel unter den Flügeln hervor und sah sie mit den klugen Augen verwundert
     an; dann schüttelte er in der Kühle sich die Federn auf und wandelte mit stolzen Schritten wie eine Schildwacht den Mauerkranz
     entlang. Sie aber war so müde und überwacht, die Bäume über ihr säuselten noch so schläfrig, sie legte den Kopf auf ihr Bündel
     und schlummerte unter den Blüten ein, womit die alte Linde sie bestreute.
    Als sie aufwachte, sah sie eine hohe Frau in faltigen Gewändern über sich gebeugt, der Morgenstern schimmerte durch ihren
     langen Schleier, es war ihr, als hätt im Schlaf die Mutter Gottes ihren Sternenmantel um sie geschlagen. Da schüttelte sie
     erschrocken die Blütenflocken aus dem Haar und erkannte ihre geistliche Muhme, die zu ihrer Verwunderung, als sie aus der
     Kirche kam, die Schlafende auf der Mauer gefunden. Die Alte sah ihr freundlich in die schönen, frischen Augen. «Ich hab dich
     gleich daran erkannt», sagte sie, «als wenn mich deine selige Mutter ansähe!» – Nun mußte sie ihr Bündel nehmen, und die Priorin
     schritt eilig ins Kloster voraus; sie gingen durch kühle, dämmernde Kreuzgänge, wo soeben noch die weißen Gestalten einzelner
     Nonnen wie Geister vor der Morgenluft lautlos verschlüpften. Als sie in die Stube traten, wollte Gabriele sogleich ihre Geschichte
     erzählen, aber sie kam nicht dazu. Die Priorin, so lange wie auf eine selige Insel verschlagen, hatte so viel zu erzählen
     und zu fragen von dem jenseitigen Ufer ihrer Jugend und konnte sich nicht genug verwundern, denn alle ihre Freunde waren seitdem
     alt geworden oder tot, und eine andere Zeit hatte alles verwandelt, die sie nicht mehr verstand. Geschäftig in redseliger
     Freude strich sie ihrem lieben Gast die Locken aus der glänzenden Stirn wie einem kranken Kinde, holte aus einem altmodischen,
     künstlich geschnitzten Wandschrank Rosinen und allerlei Naschwerk und fragte und plauderte immer wieder. Frische Blumensträuße
     standen in bunten Krügen am Fenster, ein Kanarienvogel schmetterte gellend dazwischen, denn die Morgensonne funkelte draußen
     schon durch die Wipfel und vergoldete wunderbar die Zelle, das Betpult und die schwergewirkten Lehnstühle; Gabriele lächelte
     fast betroffen wie in eine neue, ganz fremde Welt hinein.
    Noch an demselben Tage kam auch Renald zum Besuch; sie freute sich außerordentlich, es war ihr, als hätte sie ihn ein Jahr
     lang nicht gesehn. Er lobte ihren raschen Entschluß von heute nacht und sprach dann viel und heimlich mit der Priorin; sie
     horchte ein paarmal hin, sie hätte so gern gewußt, wer ihr Geliebter sei, aber sie konnte nichts erfahren. Dann mußte sie
     auch wieder heimlich lachen, daß die Priorin so geheimnisvoll tat, denn sie merkt es wohl, sie wußt es selber nicht. – Es
     war indes beschlossen worden, daß sie fürs erste noch im Kloster bleiben sollte. Renald war zerstreut
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