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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr
Autoren: Albert Schöchle
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Schöchle. Er, immer einen Schritt voraus, unbeirrt durch den
kühlen Westwind, eine Jacke hatte er erst gar nicht mitgenommen, wollte mir
seinen Bauernhof zeigen, den er seit seiner Pensionierung umtreibt.
    Zwischen unzähligen, etwa zwei Meter
hohen Blaufichten hindurch, strebten wir bergan, und Albert Schöchle erklärte
unablässig. Vor 20 Jahren habe er die ursprünglich aus Nordamerika stammenden
Bäume gepflanzt, um den Allgäuer Bauern klarzumachen, daß man nicht nur mit
Viehzucht Geld verdienen kann. Mit einem für ihn typischen »Hm, also das ist
so«, beginnt er, seine Überlegungen zu entwickeln: Wenn ein Landwirt als junger
Mann eine solche Blaufichtenkultur anlegt, dann wachsen ihm die Bäume, bis er
in Rente geht, ins Geld. Nach 20, 30 Jahren sind sie schon so groß, daß man ihr
Reis »ernten« kann, das für Kränze und Gebinde bei den Gärtnern sehr gefragt
ist. Zum Austrag hat der alte Bauer damit einen netten Nebenverdienst. Auf
meine Frage, warum sein Vorschlag denn keine Schule gemacht hat, sonst müßten
im Allgäu die Blaufichten ja überall in den Himmel wachsen, greift er in Brusthöhe
nach einem Zweig. Er ist braun. »Wissen Sie, was das ist?« Nein, natürlich weiß
ich es nicht. »Das ist ein Hasenverbiß. Ich hab’ den Hof nämlich im Sommer
gekauft und nicht gemerkt, daß ich das ärgste Schneeloch des ganzen Allgäus
erwischt habe.« Die in ihrer Heimat an milderes Klima gewöhnten Bäume werden
also hier von den Schneemassen fast erdrückt. Während dieser Privatstunde in
Naturkundeunterricht erfahre ich dann auch, daß in Monokulturen der Krankheits-
und Schädlingsbefall zunimmt; noch ein Grund, warum die Pflege der Fichten am
Buchenberg ein bißchen Mühe macht. »Ich habe hier viel dazugelernt«, sagt der
ehemalige Gartenbaudirektor, »und Lernen ist für mich eigentlich das Schönste.«
    Das glaube ich ihm aufs Wort, denn
sonst wäre wohl nicht aus dem Gärtnerlehrling Albert der Wilhelmachef Schöchle
geworden. In der Rekordzeit von neun Jahren hat er die mittlere Reife und das
Abitur nachgeholt, hat in Weihenstephan Gartenbau, in München, Stuttgart und
Tübingen Naturwissenschaften studiert und als 20jähriger Studienreferendar die
Leitung der Stuttgarter Wilhelma und des Rosensteinparks übernommen. Die Puste
ist ihm, genauso wie bei diesem Spaziergang, in all den Jahren nie ausgegangen,
übrigens auch später nicht. Man kann kaum das Gefühl nachvollziehen, das den
»heimkehrenden Landmann« beschlichen haben muß, als er die Wilhelma nach dem
Krieg wiedersah. Von dem botanischen Garten, der in den wenigen Jahren des
Wirkens vor dem Krieg so viele Auszeichnungen einheimsen konnte wie alle
öffentlichen Gärten Deutschlands zusammen, war nur ein Trümmerhaufen
übriggeblieben. Nur zwei Prozent des Pflanzenbestandes hat den Krieg
überdauert.
    Wie der 76jährige nun aber so vor mir
ging, ein wenig gegen den Wind gebeugt, konnte ich mir um so besser vorstellen,
wie er »die Ärmel hochgekrempelt und die Hacke geschultert« hat, um aus dem
verwüsteten Gelände das wichtigste Erholungszentrum Stuttgarts zu machen. Daß
vor der Königin der Nacht erst einmal Tomaten blühten, zeigt Albert Schöchles
Sinn für Realität. Mehrere hundert Hektar Land in etwa 40 Parkanlagen und
Gärten hat er noch nebenher verwaltet. Und heute? 20 Hektar bewirtschaftet der
Pensionär als Köpfhofbauer, und er meint, das sei »a ganz schöns Gärtle, b’sonders
wenn ma’s schaffe muaß«. Acht oder neun Stunden am Tag steht er im Herbst auf
der Leiter und schneidet Blaufichtenreis. »Das hält elastisch, genauso wie
früher der Kampf mit den Beamten.« Als er das sagt, grinst er so unverschämt
fröhlich, wie nur einer grinsen kann, der genau weiß, wie Baden-Württemberg ganz
nebenbei und völlig aus Versehen zu seinem zoologischen Garten gekommen ist,
auf den man natürlich inzwischen auch auf den Ministerialratsetagen stolz ist.
    7879 Tiere in 1041 Arten lebten am 1.
Januar 1981 in der Stuttgarter Wilhelma, und dabei ist kein Kaninchen mehr
mitgezählt, das die Planstelle für einen Löwen freihalten muß. Nur etwa die
Hälfte waren es, als Albert Schöchle 1970 in den Ruhestand ging, aber er hatte
die Weichen schon gestellt für den weiteren Ausbau. In seiner »Regierungszeit«
wurden neben vielen anderen bequemen Behausungen für Menschen und Tiere auch
das weltweit vorbildliche Aquarium gebaut und das Affenhaus geplant. Dies von
einem, der eigentlich Gärtner und Botaniker ist, nicht
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