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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr
Autoren: Albert Schöchle
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Eisschrank, dessen Türen wir durch
Gitter ersetzten, einen ausbruchsicheren Tierkäfig gebaut hatten. Am liebsten
hätte ich meine Menagerie um eine Geiß oder noch lieber um ein Pony erweitert,
aber das lehnte mein Vater rundweg ab.
    So legte ich statt dessen einen Garten
auf der Stallaltane an. Der Stall stand von den anderen Gebäuden isoliert im
Hof und hatte ein flaches Dach. Dieses Dach war mit einer bekiesten
Bitumenschicht gedeckt, darauf brachte ich etwa 20 cm Erde. In einer Ecke
installierte ich einen alten Waschkessel als Seerosenteich, allerdings währte
die Freude mit den Seerosen nur einen Sommer lang, denn im folgenden Winter
gefror das Wasser und sprengte den Kessel, und die Seerosen erfroren. Erst
später erkannte ich, daß die Seerosen in unseren Weihern nur dann überwintern,
wenn sie tief genug wachsen, um mit den Wurzeln im frostfreien Raum zu sein.
Wenn ich zurückdenke, bewundere ich die Langmut meines Vaters, denn mein
gärtnerisches Hobby kostete ihn viel Geld, da ich beim Umgraben meiner Beete
des öfteren die Bitumendecke durchstieß, so daß das Dach repariert werden
mußte. Diese Stallaltane wurde immer mehr zu meinem Reich, nachdem ich auch
meine Kaninchen hinaufgebracht hatte. Mit der Zeit betrieb ich einen
schwunghaften Hasenhandel und versuchte es immer wieder mit neuen Rassen.
    Soweit diese Hasenzucht sich nicht
selbst finanzierte, verdiente ich Geld mit Knochenverkaufen. In der Hotelküche
fielen nämlich ziemliche Mengen schöner Markknochen ab, und ich brachte sie
alle acht bis zehn Wochen in die Burggasse zu einem Beindrechsler, der aus
Knochen Kragenknöpfe und andere nützliche Dinge drechselte. Mein Knochenverkaufsmonopol
war allerdings durch meine Schwester gefährdet. Sie sah, daß es sich um ein
lukratives Geschäft handelte und wollte natürlich daran partizipieren.
    Ihre Forderung wurde von meinen Eltern
auch bejaht. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als zuzustimmen,
allerdings unter der Bedingung, daß sich meine Schwester am Transport der
Knochen beteiligt. Da meine Schwester die Höhere Töchterschule besuchte,
richtete ich es so ein, daß wir bei unserer ersten gemeinsamen Tour erst
losfuhren, als die Knochen schon richtig zu riechen begannen. Außerdem wählte
ich Zeit und Route gerade so, daß wir zu Beginn des Unterrichts an der Höheren
Töchterschule vorbeikamen. Selbstverständlich fuhr ich auf dem Bürgersteig mit
meiner stinkenden Fuhre und forderte meine Schwester auf, kräftig zu schieben.
Wir waren keine hundert Meter vom Schultor entfernt, als meine Schwester mir
die Partnerschaft aufkündigte, und somit war mein Monopol gerettet. Der größte
Teil der Allgäuer Bevölkerung lebte in meiner Kindheit noch auf dem Lande. Das
Allgäu hatte gerade eine große Umwälzung, heute würde man sagen
Strukturveränderung, hinter sich. Vor der Jahrhundertwende war nicht die
Milchwirtschaft die Haupteinnahmequelle, sondern es herrschte der Getreide- und
Flachsanbau vor, und man sprach nicht vom »grünen«, sondern vom »blauen Allgäu«
wegen der Leinblüte.

    Mit der Einführung der Milchwirtschaft
wurde auch der Arbeitsrhythmus der ländlichen Bevölkerung stark verändert.
Durch den langen und harten Winter im Allgäu konnte das Vieh nur sechs bis
sieben Monate im Jahr auf der Weide ernährt werden. In der übrigen Zeit mußte
es mit Heu bzw. Krümmet (zweiter und dritter Schnitt) gefüttert werden. Dadurch
wurde die Heu- und Krummeternte die arbeitsintensivste Zeit des Jahres. Daneben
war die Stallarbeit mit dem morgendlichen und abendlichen Melken notwendig. Der
Tag begann deshalb um vier Uhr und noch spät in der Nacht hörte man den Klang
der Dengelhämmer. Da alles Handarbeit war, mußten auch die nötigen
Arbeitskräfte vorhanden sein. So hatte ein Hof mit zirka 60 bis 70 Tagwerk (20
bis 23 ha) fünf bis sechs Dienstboten. Ein Hof in dieser Größe muß heute mit
einem Knecht auskommen, da sonst die Grenze der Rentabilität überschritten ist.
     
     
     

»Gründlich
verdroschen« und andere traurige Erfahrungen
     
     
    Inzwischen war der Erste Weltkrieg
ausgebrochen, alles war voll jubelnder Begeisterung, und wir Buben waren
todunglücklich, daß so etwas passieren konnte, bevor wir alt genug waren, um
mitzumachen. Jedermann glaubte, der Krieg wäre spätestens bis Jahresschluß
beendet, und viele befürchteten, zu spät zu kommen. In den zuständigen Ämtern
wimmelte es deshalb von jungen Männern, die sich freiwillig meldeten. Die
Straßen waren
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