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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman
Autoren: Greg Bear
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kalt werden«, verkündet sie.

    Sofort reagieren die drei, schnappen sich das Mädchen und rennen die Röhre entlang, fort von mir und dem toten Sägezahnmonster, dessen Radula heraushängt. Einen Moment lang starre ich ihnen hinterher und sehe ihre Lumpen flattern, weiß aber nicht so recht, ob mich hier überhaupt noch was verblüffen kann.
    Radula – die Raspelzunge. Wo zum Teufel kommt dieses Wort plötzlich her? An deiner Stelle würde ich es mal nachschlagen, Monster …
    »Das heißt wohl, dass du’s nicht wert bist, verspeist zu werden«, teile ich dem Sägezahnmonster laut mit und rappele mich hoch, da ich einen lauten Knall gehört habe. Offenbar beginnen sich die Schotts wieder zu schließen, also ist es wohl besser, den lumpigen Gestalten schleunigst hinterherzurennen. Es sei denn, sie haben die Kleine nur mitgenommen, um sie zu verspeisen. Egal, ich muss ihnen auf jeden Fall folgen, und wenn’s nur dazu gut ist, das Mädchen zu retten. Obwohl ich fast so ausgehungert bin, dass ich mich gern an einem Festmahl beteiligen würde.
    Die ganze Situation ist völlig verrückt und wird mich, wenn ich nicht aufpasse, bald in den Wahnsinn treiben. Kein Wasser, nichts zu essen, ein wunder Körper, da sich die Haut aufgrund der Eiseskälte vorhin vom Rücken, von den Füßen, den Knien und den Ellbogen gelöst hat, das heißt am Boden haften geblieben ist, tiefe Erschöpfung, ständig neue Bedrohungen, Verlust einer Zehenspitze. Alles tut mir weh. Trotzdem schaffe ich es zu rennen und nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen, zu den nicht weit entfernten Schotts. Das Schott,
das eben zuklappte, hat den Kadaver des Sägezahnmonsters erneut halbiert, die Reste hängen oben an der Röhre und sind kaum noch zu erkennen.
    Es kommt mir so vor, als liefe ich schon ewig und hätte kaum noch Reserven. Vermutlich werde ich irgendwann einfach umfallen und sterben und es nicht einmal merken, denn mein Seh- und Hörvermögen, alles, was von meinem Sensorium noch übrig ist, funktioniert völlig getrennt von dem, was mein Körper eigenständig tut.
    Ganz schön eintönig hier! So eintönig, dass mir das Überleben wie eine schwer zu ertragende Bürde erscheint, denn es bietet kaum Aussicht auf eine bessere Zukunft. Hundert Meter die Röhre entlang, dann weitere hundert Meter. Und schließlich: der Ausblick auf eine Strecke, die sich genauso fortsetzt. Es ist kein Ende der Röhre abzusehen. Und auch keine Spur von dem Trio und der Kleinen zu entdecken, obwohl ich ziemlich weit nach vorn schauen und sicher hundert Meter überblicken kann.
    Jetzt fallen mir Veränderungen auf: Glühlämpchen, die in die Wände eingelassen sind und helle, durchbrochene Linien bilden. An manchen Stellen kreisrunde Flecken, die einen Durchmesser von zwanzig Zentimetern haben mögen und Streifenmuster ausstrahlen, die schwer zu deuten sind.
    Vielleicht sind das Ampelsignale: stehen bleiben, weitergehen, abbiegen, sterben .
    Hinter mir wird das Licht schwächer. Kalte Luft schlägt gegen meine fliegenden Fersen und pumpenden Schenkel.
Plötzlich sehe ich zu meiner Rechten eine Tür, die sich tatsächlich öffnet. Der dunkle Fleck weicht einem schwach beleuchteten Oval. Die Öffnung ist schmaler als das Verbindungsstück zwischen Hohlraum und Röhre hinter mir, aber doch so breit, dass jemand von meiner Körpergröße hindurchpasst. Hinter der Tür liegt ein Raum mit Ecken und Kanten, in dem ich Schatten ausmachen kann. Aber da drinnen rührt sich nichts.
    Unwillkürlich seufze ich mitten im mühsamen Luftholen auf. Es hat keinen Sinn, hier anzuhalten und den Raum zu erkunden. Ich hätte ihn besser gar nicht erst entdeckt. Nichts als Leichen unter der niedrigen Decke. Vielleicht habe ich mich nur im Kreis bewegt und bin nun wieder dort gelandet, wo alles angefangen hat. Vielleicht gibt es gar nichts außerhalb dieses Kreises.
    Aber eigentlich glaube ich das nicht. Schließlich ist dieses Ding, ob Schiff oder nicht, riesig. Ich kann jetzt auch wieder in Längenmaßen denken. Seitdem die Kleine mich aus dem Schlafsack gezerrt hat, muss ich mindestens drei Kilometer gelaufen sein. (Vorher muss ich geschlafen haben, wieso würde ich mich sonst an die Traumzeit erinnern?) Drei Kilometer, aber ich bezweifle, dass ich einen kompletten Kreis beschrieben habe, das entspricht nicht dem Verlauf der Röhre. Vielleicht befinde ich mich innerhalb eines gigantischen Hamsterlaufrads?
    Irgendetwas wartet nur darauf, dass ich hinfalle. Etwas, das mageres, erschöpftes,
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