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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U
Autoren: Wilhelm Matthießen
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Döll, denn der Schuster schwankte von
einer Seite auf die andere. Jetzt hielt er sich an seinem Arbeitstischchen
fest, aber schon lag es da, und Nägel und Stifte, Hämmer und Feilen
flogen weit auf dem Boden umher. Und droben die Vögel in dem großen
Käfig erhoben ein mörderisches Geschrei... Döll konnte gar nicht
zählen, wie viele es waren. Alle flogen sie durcheinander, krallten sich
gegen die Gitterstäbe, flatterten wider die Käfigdecke. Sie hatten
wohl wieder den ganzen Tag noch kein Wasser und kein Körnchen Futter
bekommen.
    Döll kriegte eine rechte
Wut auf den alten Tierfreund. Am liebsten wäre er jetzt hineingegangen,
hätte den Kerl in eine Ecke geworfen und die Vögel fliegen lassen. O
ja, das traute er sich zu. Aber es war ihm doch zu gefährlich. Denn das
wäre ja ein richtiger Überfall gewesen... Er griff nach dem
Fensterchen. Vielleicht, dass es offen war? Er konnte ja warten, bis der Schuster
einschlief, und das würde sicher nicht mehr sehr lange dauern. Dann durchs
Fenster hinein, die Vögel fliegen lassen und fort. Aber so einfach
würde das auch nicht sein. Der Käfig hing hoch und war gewiss einen
halben Zentner schwer. Nur das Türchen aufmachen und das Fenster, das
wäre wohl kein Kunststück gewesen. Aber hätten die Tierchen den
Ausweg gefunden? Gewiss hätte der Schuster sie sich am anderen Morgen zum
größten Teil wieder auf den Schränken und in den Ecken
zusammenlesen können. Aber das Fenster war auch zu, wie Döll jetzt
merkte. Vielleicht hatte es der Schuster jahrelang nicht offen gehabt!
    Und doch - der Junge
fühlte: so eine günstige Gelegenheit würde vielleicht nicht
wiederkommen! Was sollte er nur anfangen? Hier länger auf der Karre stehen
und den schwankenden Tänzen des Schusters zusehen, das hatte wirklich
keinen Zweck. Also herunter, wieder in den Flur, angeklopft...
    Kein Herein wurde gerufen. Und
so drückte Döll einfach die Klinke herunter und machte die Türe
auf.
    „‘n Abend, Herr Derendorf – hier wären zwei Paar
Schuh’.“
    „Geh zum Deuwel mit deinen Schuhen!“ schimpfte der Mann, und
dann, ohne sich noch nach dem Jungen umzusehen, knurrte er noch vor sich hin:
„Rausgeschmissen, elend rausgeschmissen! Und das gerade heut’! Na
warte, ich komm’ euch!“
    Döll wusste gleich, woran
er war. Den Schuster hatten sie also wieder einmal aus der Wirtschaft
hinausgeworfen. Sicher hatte er längst genug gehabt. Aber was sollte das
heißen: gerade heute? Was war denn heute für ein Tag? Aha, schon
fiel es ihm ein: der vierte November, und heute hatten alle Namenstag, die Karl
hießen, also auch der Schuster Karl Derendorf ...
    „Das ist aber eine
Gemeinheit, Herr Derendorf “, sagte drum
Döll sofort, „na, dann gratuliere jetzt ich wenigstens zum
Namenstag.“
    Der Schuster mit seinen kleinen
verschwommenen Augen sah den Jungen von der Seite an...
    „Geld hast du
natürlich noch nicht mitgebracht für die Schuhe?“ fragte er
lauernd und warf das Netz mit den Schuhen beiseite.
    „Geld? Nein! Das gibt mir
meine Mutter doch erst, wenn ich die Schuhe abhole. Das ist doch immer
so...“
    „Dann mach, dass du
rauskommst!“ schrie der Schuster und packte nach einem Schusterhammer.
    O weh, das konnte
gefährlich werden – wie der Blitz war Döll zur Tür hinaus
und auf der Straße.
    „Na?“ fragten die
Kameraden, als er wieder bei ihnen stand, „der Kerl war aber vielleicht
voll!“
    „Wie ‘ne
Unke!“ sagte Döll, „und rausgeschmissen hat er mich, weil ich
das Geld für die Schuhe noch nicht bei mir hatte. In der Wirtschaft haben
sie ihn an die Luft gesetzt... sicher wollte er noch Schnaps haben...“
    „Und was nun? Was hast du
ausspioniert?“ fragte Boddas .
    Silli tanzte plötzlich von
einem Bein auf das andere...
    „Wer hat denn dich
gebissen?“ fragte Mala .
    Aber das Mädchen war schon
wieder vernünftig, doch unter der Kapuze sahen die Jungen ihre Augen
blitzen. „Wer von euch kann am schnellsten eine Mark auftreiben?“
fragte sie.
    „Hm“, meinte
Döll, „die bringe ich schon auf die Beine. Wozu willst du sie denn
haben?“
    Silli trat mit dem Fuß auf,
warf den Kopf zurück, dass ihre Zöpfe, die nach vorn herunterhingen,
nur so flogen. „Mach fix“, sagte sie, „frag nicht lange. Bist
du noch nicht wieder hier? Und komm mir ja nicht ohne die Mark!“
    Döll trabte davon. Langsam
gingen die anderen ihm nach, sahen, wie er aus der engen Kapuzinergasse in die
breite, helle Flingerstraße einbog. Und dann
– dann
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