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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld
Autoren: Mo Yan
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ins Hirsefeld, dabei bewegte er sich unbewusst seitwärts wie eine Krabbe. Er traf die Zwischenräume zwischen den Halmen nicht, stieß sie an und ließ sie wild erschauern und wogen. Immer noch hielt er sich an Kommandant Yus Mantelzipfel fest und wurde so schnell mitgezogen, dass seine Füße den Boden kaum berührten. Aber er wurde müde; sein Hals war steif, und seine Augen wurden matt und glanzlos. Alles, woran er denken konnte, war, dass er nie mit leeren Händen nach Hause kommen würde, solange er Onkel Luohan zum Ufer des Schwarzwasserflusses folgen konnte.
    Vater aß Krabben, bis ihm schlecht wurde. Großmutter aß Krabben, bis ihr schlecht wurde. Sie hatten keine Lust mehr auf Krabben, aber sie brachten es nicht übers Herz, den Rest wegzuwerfen. Schließlich hackte Onkel Luohan die Reste fein, mahlte sie unter dem Mühlstein und legte die Masse in Salz ein. Sie aßen jeden Tag Krabbenpaste, bis auch die verdarb. Den Rest verwendeten sie als Kompost für den Mohn. Großmutter muss wohl Opiumraucherin gewesen sein. Aber sie war nicht süchtig, und deshalb hatte sie eine pfirsichfarbene Haut, ein sonniges Gemüt und einen wachen Geist. Die krabbengedüngten Mohnblumen waren groß und fleischig, rosa, rot und weiß, und ihr Geruch füllte meine Nase. Der schwarze Boden meiner Heimat war besonders fruchtbar, und die Menschen, die ihn bestellten, waren besonders anständig, eigenwillig und ehrgeizig. Die weißen Aale im Schwarzwasserfluss waren so fett wie gespitzte Fleischkeulen und so dumm, dass sie jeden Angelhaken schluckten.
    Vater dachte an Onkel Luohan, der vor einem Jahr auf der Landstraße von Jiao nach Pingdu gestorben war. Sie hatten die Leiche in Stücke gehackt und in der Gegend verstreut. Als sie ihm die Haut abzogen, zitterte und bebte das Fleisch wie ein großer geschundener Frosch. Der Gedanke an seine Leiche ließ Vater bis ins Mark erschauern. Dann dachte er an eine andere Nacht vor sieben oder acht Jahren. Großmutter, die betrunken war, stand neben einem Haufen Hirseblätter im Hof der Brennerei und hatte die Arme um Onkel Luohans Schultern gelegt. «Onkel», flehte sie ihn an, «geh nicht fort. Wenn nicht um des Mönches willen, bleib um Buddhas willen. . Wenn nicht für den Fisch, dann für das Wasser. Wenn nicht meinetwegen, dann bleib für den kleinen Douguan. Du kannst mich haben, wenn du willst. Du bist wie mein eigener Vater.» Vater sah, wie er sie wegstieß und in den Stall stolzierte, um Maultierfutter zu mischen. Wir besaßen zwei schwarze Maultiere, und als wir die Brennerei aufmachten, wurden wir zur reichsten Familie im Dorf. Am Ende ist Onkel Luohan doch nicht fortgegangen. Stattdessen leitete er unsere Brennerei, bis zu dem Tag, an dem die Japaner unsere beiden Maultiere für die Arbeit an der Landstraße von Jiao nach Pingdu beschlagnahmten.
    Jetzt konnten Vater und die anderen die langgezogenen Schreie der Maultiere hören, die sie im Dorf zurückgelassen hatten. Gespannt riss Vater die Augen auf, aber er konnte nichts sehen außer dem dichten, aber gleichwohl durchsichtigen Nebel vor seinen Augen. Hinter der Dunstwand bildeten aufrechte Hirsehalme dicke Mauern. Hinter jeder Wand verbarg sich eine neue, scheinbar ohne Ende. Er wusste nicht, wie lange sie schon durch das Feld gingen, denn seine Aufmerksamkeit war auf den fruchtbaren Fluss gerichtet, der in der Ferne rauschte, und er war in seine Erinnerungen versunken. Er fragte sich, warum sie es so eilig hatten, diesen dichten, traumartigen Ozean von Hirse zu durchqueren. Plötzlich verlor er die Orientierung. Er hatte sich vor ein paar Jahren einmal in den Hirsefeldern verirrt, aber das Geräusch des Flusses hatte ihm die Richtung gewiesen.
    Er lauschte aufmerksam nach einem Zeichen des Flusses und stellte bald fest, dass sie nach Ostsüdosten marschierten, auf den Fluss zu. Als ihm die Marschrichtung klar wurde, erkannte er auch, dass sie vorhatten, die Japaner in einen Hinterhalt zu locken, dass sie Menschen töten würden, wie sie die Hunde getötet hatten. Auf dem Weg nach Ostsüdosten würden sie bald die Landstraße zwischen Jiao und Pingdu erreichen, die von Nord nach Süd durch die sumpfige Tiefebene führte. Die Japaner und ihre Lakaien hatten die Einheimischen mit Bajonett und Peitsche gezwungen, die Straße zu bauen.
    Die erschöpften Männer, Köpfe und Hälse vom Tau klitschnass, versetzten die Hirse immer wieder in heftige Bewegung. Trotz der ständigen Wutausbrüche des Kommandanten hustete Wang Wenyi
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