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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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Trübsinn
    nicht die übrigen ansteckte.
    Eine strahlende Sonne
    am wolkenlosen Himmel
    und dieses türkise Meer gesäumt von Kokospalmen
    ist nichts, als die Träumerei
    des Mannes aus dem Norden, der versucht
    dem Frost und dem Grau des Februars zu entkommen.
    In meinem Winkel notiere ich:
    Grausame Schönheit.
    Endloser Sommer.
    Tod in der Sonne.
    Wir ankern an jeder kleinen Felsbucht, wo Kusinen Ware erwarten für den lärmenden Markt. Wir gehen hin, um Dinge zu kaufen, die wir brauchen. Neue Händlerinnen kommen an Bord, mit diesem Feuer im Leib, das an Erzulie Fréda Dahomey erinnert. Die Männer betrachten sie mit schläfrigem Blick. Du spinnst etwas an, und an der nächsten Felsbucht erwartet dich eine Machete, blitzend neu in der Sonne. Vor dem Aussteigen wollte die Frau mir mein Huhn abkaufen, um es, wie sie sagt, auf dem nächsten Markt zu verkaufen. Nur, um mich von ihm zu befreien, denn sie gebe es zum Einkaufspreis wieder ab, ohne jeglichen Gewinn. Meine Nachbarin hat eingegriffen. Später ließ sie mich schwören, auf keinen Fall dieses Huhn zu veräußern, was auch passierte. Ich wusste es bereits.
    Die Männer bearbeiten das Land,
    in der Nähe ihrer Hütten.
    Die Frauen kennen jedes einzelne
    dieser winzigen Dörfer,
    die sie aufsuchen, um ihr Gemüse zu vertreiben.
    Die Eifersüchtigen zwingen ihre Frau,
    auf dem örtlichen Markt zu bleiben.
    Die Gazelle mit den schmalen Fesseln
    begleitet ihre Mutter.
    Den Kopf gesenkt.
    Blicke von der Seite.
    Sie beobachtet alles
    für den Tag, an dem sie allein
    die Fahrt wird antreten müssen.
    In der Ferne eine kleine Gruppe
    von Leuten am Ufer.
    Man ruft: „Les Abricots“.
    Die Indianer glaubten
    hier wäre das Paradies.
    Ich erreiche es endlich.
    Große Bäume, deren
    Zweige sich neigen
    bis hinunter aufs Meer.
    Dicke rosa Fische
    noch zuckend
    in dem Boot der Fischer.
    Kinder mit blumengeschmücktem Nabel,
    die duftende Mangos verspeisen.
    Das wohlige Leben bevor Kolumbus kam.
    Nicht ganz sicher,
    mich in der realen Zeit zu befinden,
    während ich dieser lange erträumten
    Landschaft entgegengehe.
    Zu viele Bücher gelesen.
    Zu viele Gemälde gesehen.
    Einmal die Dinge
    in ihrer nackten Schönheit erleben.
    Immer vor sich zu viel Erhofftes.
    Hinter sich zu viel Enttäuschung.
    Das Leben ist das lange Band,
    das sich hinter dir abrollt, ohne tote Zeit,
    und in gleichmäßiger Bewegung
    wechselt zwischen Hoffnung und Enttäuschung.
    Ich verfolge weiter meinen Weg
    zu der kleinen strohgedeckten Hütte
    hinten in einer Bananenplantage.
    Der Kaffee ist schon bereitet
    von einer indianischen Prinzessin
    mit den hohen Wangen
    und dem reinen Atem
    der Frauen des Hochplateaus.
    Die Hängematte,
    eine präkolumbianischen Erfindung,
    sagt viel aus
    über den Grad der Verfeinerung
    dieser Gesellschaft.
    In ihr könnte man sein Leben lang
    Mittagsschlaf halten.
    Drei Monate insgesamt,
    um die Spannung der Stadt abzulegen,
    den Rhythmus meines bisherigen Lebens.
    Drei Monate nur schlafen
    von einem ganzen Dorf beschützt.
    Es kennt offenbar die Quelle
    des Schlafes, dieses süßen Leidens.
    Es ist nicht mehr Winter.
    Es ist nicht mehr Sommer.
    Es ist nicht mehr Norden.
    Es ist nicht mehr Süden.
    Das Leben in Sphären, endlich.
    Mein voriges Leben scheint so fern.
    In dem ich Journalist war, Exilant,
    Arbeiter und sogar Autor.
    In dem ich so viele Leute kannte,
    für die ich heute nicht mehr bin,
    als eine entschwindende Silhouette.
    Einfache Häuser in der Landschaft verstreut.
    Nichts erinnert an den Indianergenozid,
    sehr geschickt inszeniert von dem Spanier.
    Mit der Hand auf dem Kreuz von Alcantara
    gab Nicolas de Ovando das Zeichen zum Massaker,
    das im Gedächtnis der Arawaks verzeichnet blieb.
    Eine sanfte Hand
    auf meiner Stirn lindert das Fieber.
    Ich döse zwischen Morgenrot und Abenddämmerung.
    Und schlafe den Rest der Zeit.
    Gewiegt von der Musik
    des alten Winds der Karibik
    sehe ich zu, wie das schwarze Huhn
    einen Regenwurm ausgräbt,
    er zappelt in seinem Schnabel.
    So sehe ich mich im Maul der Zeit.
    Man sah mich auch lächeln
    in meinem Schlaf.
    Wie das Kind, das ich war,
    zur glücklichen Zeit meiner Großmutter.
    Eine Zeit, die endlich wiederkehrte.
    Das ist das Ende der Reise.

Dany Laferrière wurde 1953 als Windsor Kléber Laferrière in Port-au-Prince, Haiti, geboren. Er arbeitete als Journalist bevor er 1976 wegen des repressiven politischen Klimas Haiti verlassen mußte. Er ging nach Montréal, Kanada, ins Exil. 1985 erschien sein erster
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