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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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Haiti.
    Ich weiß, sie hat dich genauso geliebt wie Alain, sagt die alte Frau, indem sie dem Chauffeur die Wange streichelt. Ich erinnere mich, als wäre es gestern, wie Pauline an meine Tür klopfte, um mir das schöne Baby zu zeigen, den Findling vom Markt. Ich hatte hohes Fieber und war zu Hause geblieben. Pauline kam öfters bei mir vorbei, gegen Mittag, wenn sie mich nicht auf dem Markt antraf. Sie brachte mir dann eine Suppe oder einen schönen Tee von Nelkenknospen mit. Sie war eine wirklich nette Frau, vernünftig und hochanständig. An jenem Tag verbarg sie etwas in einem Handtuch. Das warst du, Jérôme, jemand hatte dich in einem Handtuch abgelegt, direkt neben ihr. Am helllichten Tag. Auf einem Markt gibt es viele Leute. Sie meinte, sie hätte eine Frau in Weiß mit einem roten Tuch um den Hals gesehen, aber sie konnte es nicht beschwören. Alles ging so schnell. Ein Geschenk Gottes, das habe ich ihr gesagt. Sie hat dich Jérôme genannt wie ihren ersten Sohn, der mit drei Monaten gestorben war. Pauline war so unauffällig und ordentlich. Auch eine zuverlässige Freundin. Jérôme lächelte bei der Erwähnung seiner Mutter, der Frau, die seinen Geist keine Minute verlassen hat, wie er uns später, beim Mittagessen erzählte. Hält man dich trotz deines Alters und deiner persönlichen Leistungen nur für den Sohn deiner Mutter, die schon lange gestorben ist, dann ist dies das Zeichen, dass du zum Ort deiner Geburt zurückgekehrt bist, dem Ort, wo alles beginnt.
    Und doch hat man uns in diesem Dorf unsere Tasche gestohlen, während wir aßen. Wir hatten sie an den Fuß des Tischs gestellt, neben das Huhn. Monsieur Jérôme verging vor Scham. Er wiederholte immer nur, alles habe sich verändert. Zu seiner Zeit kannte jeder jeden. Wenn einer Schwierigkeiten hatte, halfen alle zusammen. Man lebte wie eine einzige große Familie. Der Dieb ist also nicht von hier? Sicher aus Zabeau, sechs Kilometer weiter. Das Lied kenne ich. Ich habe es schon überall gehört. Die Köchin hat uns geraten, beim Sektionschef Anzeige zu erstatten. Als wir in seinem Büro eintreffen, erfahren wir, um diese Zeit wäre er wohl in „Vietnam“. Wir brauchten eine Weile, bis wir begriffen hatten, dass „Vietnam“ ein Bordell am Ausgang des Dorfs ist. Monsieur Jérôme wird erneut rot vor Scham. Wir gingen trotzdem hin. Hinten in einem abgedunkelten Raum saß der Sektionschef und schlürfte gerade einen hausgemachten Cocktail, einen „Gesattelten und Gezäumten“, ein Alkoholgetränk, mit dem du bis zum Morgengrauen galoppieren kannst. Er schien mehr an anderen Dingen interessiert, als an unserem Bericht über den Taschenraub. Trotz der Dunkelheit behielt er seine Sonnenbrille auf. Plötzlich fing er an zu zittern und schlug mit seiner Pranke auf den Tisch, als würde er gleich ersticken. Ich wollte ihm gerade helfen, als eine junge Frau unter dem Tisch hervorkroch, mit Schweiß auf der Stirn. Es war offensichtlich nicht der Moment, um unser Problem darzulegen. Der Chef schien eher geneigt, zur Hauptmahlzeit überzugehen. Wir blieben nicht lange, trotz seines großzügigen Angebots, den Harem mit uns zu teilen.
    Man kann dieses Dorf Zabeau nicht erreichen, ohne durch ein Zuckerrohrfeld zu laufen. Männer mit nacktem Oberkörper schweißüberströmt. Die Machete pfeift wie eine nervöse Kobra. Ein erster harter Schlag schneidet das Zuckerrohr über dem Boden ab. Man fängt es im Fall mit einem zweiten Schlag, der es köpft. Und das Rohr landet auf dem eine Armlänge entfernten Haufen. Monsieur Jérôme erzählt uns, dass er seinen Vater früher zum Zuckerrohrschneiden begleitete. Er versucht es vorzuführen, aber wir merken, er ist aus der Übung. Ich schaue den Männern eine Weile bei der Arbeit zu, träume von einer ähnlichen Geschicklichkeit mit der Sprache. Ich sehe, wie in der Ferne sich Schatten bewegen. Es wird eine geheime Zeremonie abgehalten, im Schutz vor aufdringlichen Blicken. Monsieur Jérôme bittet uns, wieder einzusteigen, und während wir schon fahren, höre ich noch die harmonischen Stimmen der Männer und Frauen zum Ruhm von Erzulie Fréda Dahomey singen, der Göttin, der kein Mann wiedersteht. Bei der Ruhe in diesem Landstrich dürfen wir nicht vergessen, dass diese Bauern ununterbrochen Widerstand leisteten, zuerst gegen die europäischen Sklavenhalter, dann gegen die amerikanische Besatzungsarmee (von 1915 bis 1934) und stets gegen den haitianischen Staat.
    Gerade komme ich von einem weiteren dieser
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