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Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan

Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan

Titel: Das Rad der Zeit. Das Vermächtnis des Don Juan
Autoren: Carlos Castaneda
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sind. Das Endergebnis so tiefer Konzentration ist immer das Gleiche. Sie rekonstruiert die Szene. Ganze Verhaltenssequenzen, ob vergessen oder nagelneu, werden dem Krieger auf diese Weise zugänglich. Versuche es. «
    Ich befolgte ihren Rat, und natürlich konzentrierte ich mich auf Don Juan und erinnerte mich an alles, wie es sich zu einer bestimmten Zeit zugetragen hatte. Ich erinnerte mich an Einzelheiten, die zu erinnern ich keinen Grund gehabt hätte. Dank Florindas Bemühungen konnte ich ganze Abschnitte meiner Tätigkeit mit Don Juan rekonstruieren, wie auch Details von ungeheurer Bedeutung, die mir völlig entgangen waren.
    Der Geist, der aus den Zitaten aus Kunst des Pirschens spricht, hat mich erschreckt, weil diese Zitate so deutlich zeigen, welch großen Wert Don Juan auf die Elemente seiner Welt gelegt hatte, auf den Weg der Krieger als Vollendung menschlichen Strebens. Dieses Motiv hatte seine Person überlebt und war so lebendig wie immer. Manchmal hatte ich wahrhaftig das Gefühl, Don Juan sei nie fortgegangen. Es kam sogar so weit, dass ich ihn tatsächlich im Haus umherwandem hörte. Ich befragte Florinda deswegen. Sie sagte: »Oh, das ist nichts weiter. Es ist nur die Leere des Nagual Juan Matus, die nach dir greift und dich berühren will, ganz gleich, wo sein Bewusstsein jetzt ist. « Ihre Antwort verwirrte und faszinierte mich und machte mich verzweifelter denn je. Obwohl Florinda der Mensch war, der dem Nagual Juan Matus am nächsten gestanden hatte, waren die beiden erstaunlich verschieden. Eine Eigenschaft, die ihnen gemeinsam war, war ihre Leere als Person. Sie waren nicht mehr Mensch. Don Juan existierte nicht mehr als Person. Was aber anstelle seiner Person existierte, war ein Fundus von Geschichten, jede ein treffendes Beispiel zu der Situation, über die er gerade sprach, didaktische Geschichten und Scherze, die das Merkmal seiner Ernsthaftigkeit und Einfachheit trugen.
    Florinda war genauso. Sie kannte Geschichten über Geschichten. Doch ihre Geschichten handelten von Leuten. Sie waren wie eine höhere Art von Klatsch, dank Florindas unpersönlicher Art in Treffsicherheit und Witz herausragend. »Ich möchte, dass du einen Mann studierst, der ungeheure Ähnlichkeit mit dir hat«, sagte sie eines Tages zu mir. »Du sollst ihn rekapitulieren, als hättest du ihn dein Leben lang gekannt. Dieser Mann spielte eine entscheidende Rolle für die Ausformung unserer Überlieferung. Er hieß Elias, der Nagual Elias. Für mich ist er der Nagual, der den Himmel verloren hat.
    Man erzählt sich, dass der Nagual Elias von einem Jesuitenpriester erzogen wurde, der ihn Lesen und Schreiben und das Spiel auf dem Cembalo lehrte. Er lehrte ihn auch Lateinisch. Der Nagual Elias konnte die Heilige Schrift auf Lateinisch so flüssig lesen wie nur ein Gelehrter. Er war dazu ausersehen, Priester zu werden, aber er war Indianer, und Indianer passten damals nicht in die kirchlichen Hierarchien. Sie sahen zu Furcht erregend aus, zu dunkel, zu indianisch. Priester stammten aus den höheren sozialen Schichten, waren Nachfahren der Spanier mit weißer Haut und blauen Augen. Sie waren ansehnlich und präsentabel. Der Nagual Elias war im Vergleich dazu ein ungehobelter Bär, aber er bemühte sich beharrlich, angefeuert von der Verheißung seines Mentors, Gott werde dafür sorgen, dass er in den Priesterstand aufgenommen würde.
    Er war Küster an der Kirche, wo sein Mentor Gemeindepfarrer war, und eines Tages kam eine echte Hexe hereinspaziert. Sie hieß Amalia. Eine heiße Nummer soll sie gewesen sein, sagt man. Wie auch immer, sie verführte schließlich den armen Küster, der sich Hals über Kopf und so hoffnungslos in Amalia verliebte, dass er in der Hütte eines Nagualmannes landete. Zu gegebener Zeit wurde aus ihm der Nagual Elias, eine geachtete Persönlichkeit, kultiviert und belesen. Anscheinend war die kulturelle Nische eines Nagual wie für ihn geschaffen. Sie erlaubte ihm die Anonymität und den Einfluss, die ihm in der Welt verwehrt blieben. Er war ein Träumer und darin so gut, dass er in körperlosem Zustand die unerhörtesten Gegenden des Universums bereiste. Manchmal brachte er sogar Gegenstände mit, die seinen Blick durch ihre Formen und Linien gefesselt hatten, ganz unbegreifliche Dinge. Er nannte sie >Erfindungen< Davon hatte er eine ganze Sammlung. Ich möchte, dass du deine rekapitulierende Aufmerksamkeit auf diese Erfindungen konzentrierst«, befahl mir Florinda. »Am Ende sollst du sie
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