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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Autoren: Tibor Rode
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sofort fällig zu stellen. Auch dies ließen die Verträge zu. Dann wären wir auf einen Schlag pleitegegangen, und alle Mitarbeiter hätten ihren Arbeitsplatz verloren. Jedoch ließ er uns einen Ausweg …«
    »Was forderte er?«, fragte ich.
    Meine Gesprächspartnerin stockte. »Unser Unternehmen … und mich.«
    »Sie?«, rief ich ungläubig.
    »Ja, mich. Er hatte nicht vergessen, was damals passiert war, und er konnte nie die Demütigung ertragen, dass ich mich für Siggi und nicht für ihn entschieden hatte.« Danach schwieg sie eine lange Zeit.
    Schließlich wagte ich, die Frage zu stellen: »Und wie … haben Sie sich entschieden?«
    Sie schlug die Augen nieder und schaute auf den Teller vor ihr. »Es ging um Arbeitsplätze, um unsere Mitarbeiter. Deren Familien, Kinder …«
    Irgendwo im Flur hörte ich das gleichmäßige Ticken einer Uhr, das mir zuvor noch nicht aufgefallen war.
    »Auch mussten wir alle unsere Patente an ihn übertragen, auch das für die medizinischen Cerclagen, die wir herstellten: unser wichtigstes Patent, um das wir uns nun streiten.«
    Ich stieß die Luft aus, die ich während ihrer vorangegangenen Sätze angehalten hatte.
    »Siggi brachte sich ein Jahr später um«, fuhr sie schließlich fort. Sie sprach ganz nüchtern, fast emotionslos, sodass ich schauderte. »Er kam mit der Situation nicht mehr zurecht. Meine Besuche bei Ansgar … Manchmal kam er auch hierher, und Siggi musste dann für ein oder zwei Stunden das Haus verlassen. Und eines Abends kam mein Mann nicht mehr zurück. Ich fand ihn drüben in der Fabrik – er hatte sich an einer der Heizstangen aufgehängt. Mit seinem Gürtel.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Das Haus, in dem wir saßen, das alte Fabrikgebäude, das ich durch das Fenster sehen konnte, die zu einem festen Charaktermerkmal erstarrte Trauer meiner Gesprächspartnerin: All dies ließ mich die Geschichte nachfühlen.
    »Was ist mit Ihren Söhnen?«, fragte ich schließlich, um die eingetretene Stille zu unterbrechen.
    »Welche Söhne?«, entgegnete sie verwundert.
    »Der Firmenname: Söhnke & Söhne …«
    Sie lächelte. »Es gibt keine. Siggi und sein verstorbener Bruder waren die Söhne. Sein Vater hat das Unternehmen gegründet.«
    Ich nickte. Eine Weile schwiegen wir.
    »Was passierte nach dem Tod Ihres Ehemannes?«
    »Ich erhielt eine sehr große Summe ausbezahlt. Siggi hatte mehrere Lebensversicherungen.«
    »Ich dachte immer, bei Selbstmord zahlt eine Versicherung nicht …«, hielt ich entgegen, fand meinen Einwurf aber noch im selben Augenblick unpassend. »Man kam zu dem Ergebnis, dass Siggi sich in einem ›die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit‹ befand. In diesem Fall wird gezahlt. Mit dem Geld konnte ich die Darlehen bei Ansgar sofort ablösen. Insofern hat Siggi mit seinem Tod sein Unternehmen und seine Mitarbeiter gerettet – und mich.«
    Ich atmete tief durch. »Und das Patent?«
    »Ansgar hatte die Übertragung ›unbedingt gestaltet‹. Sie war nicht mehr rückgängig zu machen. Uns jedoch hatte Ansgar erklärt, dass wir die Patente nur zur Sicherung des Darlehens übertragen würden. Auch das war gelogen.«
    Ich war tief in meinem Sessel zusammengesunken.
    Meine Gastgeberin warf mir ein gequältes Lächeln zu. »Jetzt kennen Sie die Wahrheit über Ihren Mandanten.« Sie zeigte auf den Rest Apfelkuchen vor mir. »Essen Sie. Ich habe ihn extra für Sie gebacken.«
    Ich schaute auf den Apfelkuchen und das gut gefüllte Cognac-Glas, das danebenstand. Ich griff nach dem Schwenker und leerte ihn in einem Zug.
    »Sehen Sie«, sagte meine Gastgeberin. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie werden es brauchen.«

6
    Draschwitz, 1714
    Auf dem Rittergut herrschte großes Getümmel. Die Einfahrt zum Hof war zugestellt mit Kutschen und Pferden, um die sich ein Gehilfe des Orffyreus kümmerte, der ihnen etwas Heu und ein wenig schmutziges Wasser aus den Regenfässern vorsetzte. Vor der Scheune bildete sich eine lange Schlange, und Orffyreus’ Frau Barbara war eifrig damit beschäftigt, am Eingang Eintrittskarten zu verkaufen.
    In der Scheune wies die in ein schneeweißes Kleid mit ausladendem Dekolleté gekleidete Magd den zahlreich Erschienen Plätze zu. Aus Holzlatten genagelte Bänke standen im Halbkreis um einen mit Sägespänen ausgelegten Platz und bildeten so eine Art Manege. Es war bereits der zehnte Tag der Vorführungen, und das Interesse schien nicht abzureißen. Immer wieder kam
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