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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich
Autoren: Ricardo Coler
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dazugehörige Bombilla.«
    Sie nehmen beides in die Hand und bedanken sich.
    Ich hole tief Luft und sage: »Wir haben auch einen Tanz, den Tango. Wir könnten uns die Kassette anhören, und wenn Sie wollen,
     kann ich Ihnen irgendwann ein paar Schritte zeigen.«
    Sie stimmen sofort begeistert zu. Ma La Tsu schafft einen Kassettenrekorder herbei und legt das Band ein.
    Und so ertönt in Luoshui, der matriarchalischen Enklave nahe Tibet,
La Yumba
von Altmeister Pugliese.

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    |45| 7
    Am nächsten Morgen schaue ich bei Tsie vorbei, die völlig versunken an ihrer Singer-Nähmaschine sitzt. Mit einem roten Faden
     im Mund tritt sie eifrig das Pedal aus schwarzem Eisen und lässt das Ende eines gelben Stoffteiles unter der Nadel entlanggleiten
     – es sind die letzten Stiche an einem Kasack. Ich grüße sie und frage, ob sie all ihre Sachen selbst näht.
    »Ja«, erwidert sie, und Lei übersetzt für mich, »aber dieser Kasack ist für Sanshies Tochter. Es ist ein Geschenk für ihre
     Initiationszeremonie, die in ein paar Tagen stattfindet. Die Kleidung hat besondere Bedeutung, durch sie unterscheidet sich
     das Kind vom Erwachsenen.«
    »Darf ich an der Zeremonie teilnehmen?«
    Tsie schaut auf und lächelt, gibt mir aber keine Antwort. Sie konzentriert sich wieder auf die Näharbeit und sagt etwas zu
     Lei. Der grinst mich an und klopft mir auf die Schulter, die erste freundschaftliche Geste, seit wir gemeinsam unterwegs sind.
    |46| Die Mosuo feiern keinen Geburtstag, für sie gibt es nur drei Anlässe, die festlich begangen werden: der erste Lebensmonat,
     der Eintritt in das Erwachsenenalter und die Beerdigung. Da sie von der ersten Feier nichts mitbekommen und von der letzten
     erst recht nichts, stellt der Initiationsritus das einzige Fest zu ihren Ehren dar, an dem sie aktiv teilnehmen.
    In wenigen Tagen wird Sanshies Tochter Sinshie nicht mehr als junges Mädchen angesehen, sondern als Frau; damit wechselt sie
     in einen höheren sozialen Status, und im Unterschied zu den Jungen in diesem Alter verändert sich ihr Leben radikal.
    Lei begleitet mich zu Sanshie, die voll und ganz damit beschäftigt ist, Lederstiefel anzufertigen. Obwohl ich sie nahezu täglich
     besuche und sie mir schon so oft von den neu entstehenden Räumlichkeiten für ihre jüngste, bald erwachsene Tochter erzählt
     hat, erwähnte sie nie, wann genau die Initiationszeremonie begangen würde.
    Über Lei lasse ich sie wissen, dass es mir sehr viel bedeuten würde, dabei sein zu können. Sanshie sieht mich ungerührt an.
     Ich solle mich ein wenig gedulden, rät sie mir schließlich, ich würde in absehbarer Zeit eine Antwort erhalten. Ich habe das
     Gefühl, unhöflich gewesen zu sein.
    An Sinshies großem Tag finden wir uns im |47| Hauptraum des Hauses ein, um Buttertee zu trinken. Habe ich schon erwähnt, wie er zubereitet wird? In einen Topf mit Teesud
     wird durch Entrahmung von frischer Milch gewonnene Butter gegeben. Das Ganze wird kräftig gewürzt und dann mit einem langen
     Holzrohr umgerührt, bis die Flüssigkeit schaumig ist. Unter großer Anstrengung würge ich drei Tassen des Getränks hinunter,
     um bei Sanshie zu punkten, doch sie ist mir ihre Antwort auf mein Ansinnen bisher schuldig geblieben.
    Nach dem Frühstück begeben wir uns zum Familienaltar, um die Götter zu ehren. Sinshie steht schweigend in unserer Mitte und
     nimmt die Gaben entgegen; sie wartet ab, bis alle sitzen, und steht dann auf, um allein nach tibetischem Brauch vor dem Abbild
     Buddhas zu beten: Sie hebt die Hände über den Kopf und legt die Handflächen aufeinander, senkt die Hände erst bis zur Stirn
     und dann bis zur Brust hinab. Schließlich lässt sie sich langsam zu Boden gleiten, bis sie ausgestreckt auf dem Bauch liegt.
     Als ich gerade denke, das Ritual sei nun beendet, beginnt sie von neuem.
    Die weiblichen Familienmitglieder und die engsten Freundinnen der Matriarchin kommen mit Paketen herein. Ich weiß, dass in
     wenigen Minuten die Zeremonie des Kleiderwechsels stattfinden soll, |48| was ich immer noch nicht weiß, ist, ob ich daran teilnehmen darf.
    In diesem Augenblick tippt Lei mir auf die Schulter.
    »Ich habe mit Sanshie gesprochen, du kannst dabei sein, aber du musst still in der Ecke sitzen und darfst keine Fotos machen.«
    Ich akzeptiere die Regeln widerspruchslos.
    »Ach ja, und stell keine Fragen, wenn du drinnen bist.«
    Eilig trenne ich mich von Kamera, Stativ und Tasche, hänge Lei alles über die Schulter und laufe, noch
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