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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich
Autoren: Ricardo Coler
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Sie das Sagen.«
    »Ja, aber man ist rund um die Uhr auf Trab. Im Reich der Männer arbeiten die Frauen, wohingegen sich die Männer im Reich der
     Frauen ausruhen.«
    Sie schaut auf ihre Hände, sie sind rau und aufgerissen, die Nägel kurz – die Hände einer mit vollem Einsatz arbeitenden Frau.
    Yasi beklagt sich nicht. Sie beschreibt nur ihr Leben. Das Leben, das für sie bestimmt ist und das sie sehr bewusst lebt.
    Von verschiedenen Männern bekam ich als Antwort auf die Frage danach, was sie an einer Frau attraktiv fänden: »Schauen Sie
     sich die Matriarchin an, in deren Haus sie untergebracht sind. Das ist der Typ Frau, der uns gefällt.« Yasi hat ein feines
     Gesicht, schmale Augenbrauen und einen Mund, der wie gemalt aussieht. Sie ist noch sehr jung und führt schon den Besitz, sie
     ist zupackend, und sie singt göttlich. Auch die Burschen an der Bootsanlegestelle rissen bei der Erwähnung ihres Namens mit
     einem Ausruf der Bewunderung die Augen weit auf. In der Tat, Yasi ist eine bildschöne Frau.
    Ich versuche etwas über die Phantasien und die Sehnsüchte dieser eisernen Lady zu erfahren. Sie erzählt, ihr größter Wunsch
     sei, dass es mit ihrer Familie immer weiter aufwärts gehe, und das sei |160| auch der Grund, warum sie niemals ruhe. Sie sagt es leise, in sanftem Ton.
    »Was soll das heißen? Wollen Sie höhere Erträge erzielen und viel Geld verdienen?«
    Sie schaut mich verwundert an, das habe sie nie behauptet. Natürlich wolle sie Geld verdienen, aber reich werden? Sie zuckt
     mit den Schultern und wiederholt, es gehe ihr einzig und allein um das Wohlergehen ihrer Familie. Was habe das mit der Anhäufung
     von Vermögen zu tun?
    Bei uns denkt man bei »Wohlergehen« schnell an das große Geld. Doch Besitz und Statussymbole, Glanz und Glamour haben im Matriarchat
     keine Bedeutung. Kulturelle Unterschiede bedingen ebenso wie historische und politische Umstände Differenzen in der Art und
     Weise, wie ein Mensch fühlt, seine Subjektivität. Die Mosuo denken nicht nur anders, sondern sie empfinden auch anders. Reichtum
     ist kein gesellschaftlicher Wert. Geld reizt sie nicht und bringt sie deshalb auch nicht um den Schlaf.
    Plötzlich springt Yasi auf. Einer ihrer Cousins will auf die Straße hinauseilen. Sie hält ihn auf. Erst als er einen leeren
     Korb auf dem Rücken hat, darf er das Haus verlassen. Yasi nickt zufrieden.
    Sie berichtet mir, was ich schon hundertmal gehört habe: Die Frauen sind viel effizienter und |161| fähiger als die Männer. Und deshalb kümmern sie sich auch um alles.
    Womit könnte ich sie bloß aus der Reserve locken, sie ein bisschen herausfordern, damit sie nicht die gewohnte Rede abspult?
    Ich behaupte, dass man in meinem Land vor einer Frau wie ihr Angst habe. Sie lächelt! Und mit ernstem Gesichtsausdruck fügt
     sie hinzu, es sei ihr klar, dass es eine Sache sei, diesen Hof zu managen, und eine ganz andere, mit dem Geliebten umzugehen.
     Sie führt eine offizielle Liebesbeziehung mit einem Mann, der zwei Fahrtstunden von Luoshui entfernt wohnt. Er schätzt ihr
     eigenwilliges Temperament angeblich sehr. Sie schmunzelt.
    »Jedenfalls hatten wir nie Probleme deswegen.«
    »Hatten Sie nie Streit?«
    Yasi gesteht zu, dass die Hauptursache aller Konflikte die Privilegien der Frauen seien. Plötzlich scheint sie es leid zu
     sein, über sich zu sprechen, und dreht den Spieß um.
    »Und Sie«, fragt mich die Matriarchin, »warum sind Sie allein hierhergereist? Wollen Sie etwas mit einer Mosuo-Frau anfangen?«
    Nein, das sei ganz und gar nicht meine Absicht, erwidere ich.
    »Denn ich hätte jemanden, den ich Ihnen vorstellen könnte.«
    |162| Die älteren Frauen zeigen einem Besucher mit Vorliebe die Fotos ihrer Töchter, die mittleren Alters preisen ihre Schwestern
     an, und die jungen haben immer eine Vielzahl von Freundinnen.
    Yasi ist hartnäckig. Ich könne eine Liebesbeziehung mit einer von ihren Freundinnen haben, wenn ich wollte. Es würde völlig
     ausreichen, wenn ich ein- oder zweimal im Jahr herkäme.
    Vorsichtig versuche ich wieder, das Ruder zu übernehmen, ich frage sie, ob sie immer mit demselben Mann zusammen sein möchte.
    »Ich möchte verliebt sein, und wenn ich dafür den Partner wechseln muss, dann tue ich das.«
    »Und was gefällt Ihnen an einem Mann?«
    Entrüstet springt Yasi auf. Mein einziger Gedanke gilt in diesem Augenblick meiner Fotoausrüstung, auf die sie zustürmt. Doch
     ihr Zorn richtet sich gar nicht gegen mich, wie ich
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