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Das Paradies ist weiblich

Titel: Das Paradies ist weiblich
Autoren: Ricardo Coler
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Beziehung unter den Frauen im Dorf
     aufgefallen, sie halten |41| sich an der Hand, richten sich gegenseitig den Kopfschmuck, lachen und scherzen miteinander; in der Gruppe haben sie beinahe
     etwas Übermütiges. Diese Art der herzlichen, zärtlichen Freundschaft unter Frauen ist fester Bestandteil in der matriarchalischen
     Gesellschaft der Mosuo. Nie habe ich gehört, dass die eine schlecht über die andere geredet hätte. Nicht einmal wenn es in
     ihren Gesprächen um Männer geht, konnte ich auch nur eine Spur von Rivalität entdecken.
    Ma La Tsu stellt ein Schälchen mit Sonnenblumenkernen auf den Tisch und reicht mir ein gelbliches Getränk, dessen Existenz
     mir bis zu diesem Augenblick verborgen geblieben war.
    »Zulima«, sagt sie.
    Die Zulima ist mild, leicht süßlich und enthält Alkohol. Sie stellen sie selbst her, es ist eine Spezialität des Ortes.
    Zwei Männer kommen herein und neigen zur Begüßung den Kopf, ich tue es ihnen gleich. Sie müssen zwischen dreißig und vierzig
     Jahre alt sein, tragen Feldarbeitshosen, einen breiten Gürtel und einen Kasack. Der jüngere hat ein kleines Kind von höchstens
     zwei Jahren auf dem Arm. Es ist der Sohn seiner Schwester, ein pausbäckiges Kerlchen, das sie übertrieben warm eingepackt
     haben. Ich stelle erstaunt fest, dass seine Hose hinten offen ist, |42| so dass sein nacktes Hinterteil herausschaut. Diese Sitte ist nicht nur auf die Gemeinschaft der Mosuo beschränkt, sie ist
     in ganz China verbreitet: Sobald die Kinder in das Alter kommen, in dem sie trocken sein sollten, gewöhnt man ihnen mit dieser
     Methode das Windeltragen ab. Und es scheint zu funktionieren, jedenfalls ist mir noch kein erwachsener Chinese begegnet, dessen
     Hose hinten nicht geschlossen gewesen wäre.
    Auf Anweisung von Ma La Tsu folgt ihr einer der beiden Männer in einen angrenzenden Raum, die Speisekammer. Auf Holzregalen
     liegen sechs oder sieben nach Mosuo-Art zubereitete Schweine, genannt
zhubiaorou
: Das Tier wird geschlachtet, ausgeweidet, entbeint und mit Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und weiteren Gewürzen gefüllt. Dann
     wird es zugenäht und an einem kalten, trockenen Ort aufbewahrt, damit es natürlich trocknet. Zehn Jahre lang. Bevor man es
     auftischt, wird es mit einem Messer abgeschabt und mit heißem Wasser gewaschen. Der Bruder von Ma La Tsu bittet mich, ihm
     zu helfen, eines herunterzuholen. Es ist schwerer, als es aussieht. Wir legen das Tier auf den Boden, und er schneidet Stücke
     heraus, die vor dem Servieren nur kurz aufgekocht werden.
    Dem Gast
zhubiaorou
zu servieren, ist eine besondere Ehrerweisung. Man legt mir fünf Stück reines |43| Fett von einem seit zehn Jahren toten Schwein auf den Teller – ich werde sie aufessen, klare Sache. In diesem Moment bedaure
     ich, dass ich nicht fließend Chinesisch spreche, um mich gebührend bedanken zu können.
    Insgeheim hatte ich erwartet, dass die Männer hier die Hausarbeit erledigen oder zumindest das Geschirr spülen würden, aber
     nein, die Frauen kümmern sich um die Gäste. Sie reichen mir mit beiden Händen eine Schüssel und senken den Blick, das ist
     die Aufforderung, mich zu bedienen. Derweil essen die Männer und achten darauf, dass der Kleine nicht zu nah ans Feuer tritt.
    »Wie ist die Hausarbeit aufgeteilt?«, frage ich Ma La Tsu.
    »Gar nicht, wir Frauen machen die ganze Arbeit. Das ist uns lieber, so geht es schneller und besser.«
    Ich vermute, dass das nicht der einzige Grund ist, hier geht es nicht allein um eine praktische Frage, sondern um Anstand
     und Respekt: Indem sie mir das Essen servieren oder darauf achten, dass mein Glas stets gefüllt ist, geben sie mir das Gefühl,
     dass mir ihre ganze Aufmerksamkeit gehört. So resolut sie bei der Arbeit ihre Befehle erteilen – beim Essen bedient die Frau
     den Mann. Und nicht etwa nur den geladenen Gast, diese Regel gilt für alle Männer im Haus. Sie, die Chefinnen und Hausherrinnen, |44| haben sich diese Aufgabe bewusst vorbehalten. Ich bin kurz verwirrt: Nichts lässt vermuten, dass dieses Mittagessen in einer
     matriarchalischen Gemeinschaft stattfindet. Zumindest nicht in einer, wie ich sie mir ausgemalt hatte.
    Als abgeräumt wird, krame ich ein paar Mitbringsel aus meinem Rucksack hervor.
    »Diese Postkarte zeigt eine Region im Süden meines Landes, dort gibt es genau solche Seen wie den Lugu.«
    Eingehend betrachten sie das Foto vom Nahuel Huapi und stellen es dann auf ein Bord.
    »Und das hier ist eine Mate-Kalebasse und die
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