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Das Orakel der Seherin

Das Orakel der Seherin

Titel: Das Orakel der Seherin
Autoren: Christopher Pike
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zögere, bevor ich fortfahre. »Ich sehe vermutlich ein wenig jünger aus, als ich bin, und ich habe viel gelesen. Ich habe mich intensiv mit dem alten Ägypten beschäftigt, und es würde mir große Freude bereiten, mich mit Ihnen und Ihrem Vater noch ein wenig über die Schrift der Suzama zu unterhalten.«
    Er nimmt meine Bitte nicht ganz ernst. »Ich bin sicher, daß es uns allen große Freude bereiten würde, aber mein Vater darf morgen früh sein Flugzeug nach San Francisco nicht verpassen.«
    Ich fange seinen Blick, halte ihn fest und spreche die folgenden Worte mit großer Eindringlichkeit: »Vielleicht könnten Sie mit ihm über mich reden. Er schien interessiert zu sein, zu erfahren, woher ich von Suzamas Verbindung zu Isis weiß.«
    James blinzelt wiederholt. Er muß einen starken Willen haben, da er sich so lange gegen meinen Vorschlag wehren kann.
    »Ich könnte mit ihm sprechen, ja. Aber er ist schließlich nicht mehr der Jüngste, und ich muß darauf achten, ihn nicht zu sehr zu beanspruchen.«
    Ich will James nicht allzusehr beeinflussen. Es besteht immer die Möglichkeit, daß man jemanden verletzt, wenn man ihm zu stark den eigenen Willen aufdrängt. Seit meiner Wiedergeburt als Vampirin ist die Wirkung meines Blicks noch stärker als früher, und ich setze ihn nur ganz gezielt ein.
    Aber ich kann Dr. Seter auch nicht einfach verschwinden lassen. Ich entschließe mich, ein wenig von meinem Wissen aus alter Zeit preiszugeben – wobei ich nicht ganz bei der Wahrheit bleiben werde. Da ich das Ganze ein bißchen dramatisch inszenieren muß, ziehe ich James Seter beiseite und flüstere ihm leise etwas ins Ohr:
    »Ihre Schrift der Suzama ist nicht die einzige, die existiert«, beginne ich. »Ich selbst bin im Besitz einer weiteren, die sich allerdings offenbar von der Ihren unterscheidet. Ich wäre wirklich sehr froh, wenn es zu einem Informations-austausch mit Ihrem Vater käme.«
    James schweigt einen Moment verblüfft, bis er den Inhalt meiner Aussage begreift. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, murmelt er dann.
    Meine Stimme klingt sicher und gelassen. »Doch, das ist es. Wenn Ihr Vater sich bereit erklärt, mich zu treffen, würde ich gern mit ihm darüber sprechen.«
    Ich zögere. »Er wird nicht viel Zeit benötigen, um zu entscheiden, ob meine Schrift authentisch ist.«
    »Er wird hier mit Ihnen sprechen wollen, bevor er eine Verabredung trifft.«
    Ich schüttele den Kopf. »Ich beabsichtige nicht, hier über meinen Fund zu reden. Aber bitte versichern Sie Ihrem Vater, daß ich nicht nur irgendeine überdrehte Spinnerin bin.«
    »Wo möchten Sie ihn treffen?«
    »Drei Blocks vom Meer entfernt, in der Nähe der Ocean Avenue, gibt es einen Coffee Shop. Dort können wir uns treffen, sagen wir, in einer halben Stunde.«
    In diesem Coffee Shop habe ich meinen geliebten Ray wiedergetroffen, oder, genauer gesagt: Sein wieder zum Leben erweckter Körper hat mich gefunden.
    Er tauchte dort auf, nachdem ich zwei Männer erschossen hatte, die mich vergewaltigen wollten. Auf meiner Kleidung waren Flecken ihres Blutes. Seit dieser Begegnung bin ich nicht mehr in dem Coffee Shop gewesen, aber aus einem unerfindlichen Grund möchte ich heute abend hingehen. Vielleicht wird ein neues Phantom dort auftauchen und mein Leben durcheinanderbringen. Ich könnte gut darauf verzichten. Der Schmerz, den mein letztes Erlebnis dort hinterlassen hat, ist noch nicht versiegt. Allein der Gedanke an Ray macht mich traurig. – Plötzlich spüre ich, daß James mich betrachtet.
    »Als Sie heute abend hier ankamen«, sagt er, »haben Sie so getan, als ob Sie nichts über Suzama wüßten. Warum?«
    Ich beuge mich vor und richte seine Krawatte. »Wenn Sie wüßten, was ich weiß, James, könnten Sie verstehen, warum ich das vorgegeben habe.« Damit blicke ich zu ihm auf. »Richten Sie Ihrem Vater aus, daß er kommen soll. Ich werde auf ihn warten.«
    Eine halbe Stunde später sitze ich Dr. Seter und seinem Sohn in dem Coffee Shop gegenüber. Es ist gut, daß sie allein – und daß sie überhaupt gekommen sind. Vermutlich hat der Sohn seinen Vater einfach mitgeschleppt. Der Doktor sieht nicht aus, als ob er von mir irgendeine spektakuläre Enthüllung erwarte.
    Aber er läßt sich den Apfelkuchen mit Vanilleeis schmecken, den ich für ihn bestellt habe. Als attraktive fünftausend Jahre alte Blondine kannst du dir so ziemlich alles erlauben.
    »James hat mir erzählt, daß Sie Archäologie studieren«, erklärt Dr. Seter,
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