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Das Nilpferd

Das Nilpferd

Titel: Das Nilpferd
Autoren: Stephen Fry
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Designergemüse sind: Bei einem Essen für literarische Revolverfressen hat der Romancier Weston Payne mal einen Salat aus Ampfer, Ahorn und allerlei anderem Laub zubereitet, das er am Gordon Square in den Vorgärten zusammengeharkt hatte. Dieses Blattwerk hat er mit einer pikanten Sauce gewürzt und unter allgemeinem Applaus als
Cimabue, Putana Vera
und
Lampedusa
serviert. Eine widerliche kleine Nervensäge von der »Sunday Times« behauptete sogar,
Putana Vera
könne man bei ihm im Chelsea Waitrose kaufen. Eine Flasche Londoner Leitungswasser, das man gekühlt und kurz in einen Sodastrom gehalten hatte, wurde mit allen Anzeichen des Behagens als
Aqua Robinetto
weggeschlürft. Wirklich sehr angebracht. Schließlich waren Westons Romane denselben aufgeblasenen Spruchbeuteln zwanzig Jahre lang als Literatur angedreht worden, ohne daß die je Lunte gerochen hätten. Manchmal glaube ich, London ist der weltweit größte Laufsteg für Kaiser. War es vielleicht schon immer, aber in der guten alten Zeit hatten wir keine Angst auszurufen: »Du bist nackt, du dummer Arsch. Du bist splitterfatzkenackt.« Heutzutage brauchst du in Gegenwart eines brünetten Mädels von der »Sunday Times«, dessen Vater entweder ein gefeuerter Politiker ist oder ein Poetaster wie ich, bloß einen fahrenzulassen, und schon wirst du als neuer Thackeray aufgepeppt und porträtiert.
    Wenn Sie jünger sind als ich, was Sie rein statistisch eigentlich sein müssen, können Sie sich nicht vorstellen,was es heißt, in die Sauf-und-Rauch-Generation hineingeboren worden zu sein. Es ist eine Sache, wenn ein Mann beim Älterwerden herausfindet, daß die nachfolgenden Generationen heruntergekommener, promiskuitiver, disziplinloser, einen ganzen Kontinent scheißignoranter und dumpfbeuteliger sind als seine eigene – die Entdeckung macht jede Generation –, aber überall um sich herum einen schleichenden Puritanismus zu spüren, Nasen sich rümpfen zu sehen, wenn man vorbeischwankt, den mitleidsvollen Ekel einer Jugend mit rosa Lungen, reinen Lebern und klaren Augen zu absorbieren, das Gefühl vermittelt zu bekommen, man habe einen Bus verpaßt, von dem einem keiner was gesagt hat, mit einem Ziel, von dem man nie gehört hat, das kann einen fast schon niederschmettern. All diese frömmelnden, tugendhaften Malvolios, die mit einem »Würden Sie uns wohl bitte entschuldigen; einige von uns haben nämlich morgen Prüfung«-Ausdruck auf ihren blassen Präfektenfressen herumstolzieren. Kotzenswert.
    Anscheinend konnte der Dekoklotz auf dem Barhocker neben mir meinem Gesicht die Genervtheit ablesen, denn sie starrte mich lange von der Seite an, ohne zu merken, daß ich ihre Inspektion im Spiegel inspizierte. Sie schwang ihren knochigen, aber appetitlichen Hintern vom Hocker, pflanzte sich in einen Sessel in der Ecke und ließ mich als einzigen Besitzer der Barauen zurück, um die Erdnüsse zu ernten und die Pistazien zu pflücken. Kannte sie irgendwoher. Sieben für fünf, daß sie Kolumnen für den »Standard« schrieb. Leonora würde es wissen.
    Natürlich kam der große Dramatiker zehn Minuten zu spät und schlenderte durch die Essenszone, ohne mich zu sehen. Sein Grienen verriet, daß er entweder die Gesamtheit meiner ehemaligen Kollegen gefoppt – was nicht besonders schwer ist – und für seine Greueltaten einiges anLobpreis eingeheimst hatte oder daß er die entzückende Nachricht von meiner Entlassung gehört hatte. Wahrscheinlich beides. Er erinnerte sich natürlich nicht mehr daran, denn das tun sie ja nie, aber ich war es, der den kleinen Scheißer überhaupt erst entdeckt hatte. Das war in jenen Tagen, als ich noch jeden Abend in der Off-Szene herumlungerte und Vorstellungen von Gruppen durchstand, die Namen wie
Offenes Repertoire
und
Geteilte Bühne
hatten; in jener Zeit garantierte mein Nicken den Aufstieg vom Obergeschoß eines Pubs in Battersea zum plüschigen Dramabordell im West End. Michael Lake hatte etwas geschrieben, das in einer besseren Welt ein völlig normales Theaterstück gewesen wäre, das aber die Banalität, den Analphabetismus und das zornige Schmollen jedes einzelnen anderen Stückes, das in jenem Jahr und den fünf Jahren davor geschrieben worden war, um einiges überragte. Im Misthaufen glänzt selbst eine Glasperle wie ein Saphir. 1973 muß das gewesen sein, spätestens ’74. Inzwischen konnte der Mann natürlich nicht mal mehr seinem Milchmann einen Zettel schreiben, ohne daß der unter allgemeinen Akklamationen eine
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