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Das neue Evangelium

Das neue Evangelium

Titel: Das neue Evangelium
Autoren: Mattias Gerwald
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verliebt sind, nur noch die Hälfte wert!«
    »Meister! Wie sprichst du über deinen besten Freund?«
    »Vielleicht ist es nur Neid«, gab Henri zu. »Denn du weißt ja, ich halte mich an mein Gelöbnis und damit von allen Begierden fern. Vielleicht ist diese Abgeklärtheit nur eine Selbsttäuschung. Alle Kirchenmänner, die ich traf – ohne Ausnahme –, waren dieser Täuschung verfallen. Sie sahen auf die Menschen herab, die ihre Begierden stillten, sie fühlten sich ihnen überlegen, aber sie begriffen nicht, dass sie nur Triebe unterdrückten, die Gott in sie eingepflanzt hatte. Auch ich war einst so. Heute habe ich darüber eine andere Meinung.«
    »Dann willst du dir jetzt eine Frau suchen?«
    »Um Gottes willen!« sagte Henri. »Das fehlte mir noch. Nein, ganz sicher nicht. Ich bin glücklich ohne Weib.«
    »Ich nicht«, sagte der Knappe leise.
    »Spiel mir ein wenig vor«, bat Henri. »Vielleicht verlierst du dann deine melancholische Stimmung.«
    Sean of Ardchatten kramte aus seinem Sack eine dreilöchrige, klappenlose Flöte hervor.
    »Auf meiner Schwögel kann ich nur Liebeslieder spielen«, gestand Sean. »Es tröstet mich nicht über die Abwesenheit von Mädchen hinweg. Aber ich spiele dennoch gerne – für dich, Meister.«
    »Das ist sehr freundlich von dir«, sagte Henri. »Spiele, was immer du willst. Es wird mich an glückliche Zeiten erinnern, in denen wir alle zusammen waren und alles möglich zu sein schien.«
    »Alles ist möglich, Meister«, sagte Sean arglos. Dann setzte er die Flöte an die Lippen und spielte ein wunderschönes Lied.
    Henri blickte, während er zuhörte, über das Wasser. Die See lag ruhig, nur leichte Wellen kräuselten die Oberfläche. Es würde keinen Sturm geben. Jedenfalls nicht in den nächsten Stunden.
    Er schaute zum Himmel hinauf. Die Sichel des Mondes lag waagerecht, wie ein hell leuchtender Kahn, der auf den schwarzen Gewässern des Himmels dahinglitt. Henri wusste, dieses Bild, wie viele andere Eindrücke auch, würde ihm in der nächsten Zeit fehlen. Denn es war ihm inzwischen klar geworden, dass er nicht in den Süden zurückkehren wollte.
    Er würde in Schottland verweilen. Sein Weg wäre dort wahrscheinlich nicht zu Ende, aber dies war erst einmal sein Ziel. In Roslin, seinem Heimatdorf, wollte man eine Kirche bauen. Ein Kreuzfahrer, der verwundet aus dem Heiligen Land zurückgekehrt war, wünschte sie sich aus Dank für seine Rettung. Die Kirche sollte eine Westfassade erhalten, die an den Tempel des Salomon in Jerusalem erinnern würde.
    Henri dachte darüber nach. Er hatte von diesem Vorhaben schon vor langer Zeit gehört. Vielleicht gab es diese Kirche inzwischen schon. Er sah sich, wie er sie betrat. Und in ihr würde er andächtig auf die Knie fallen. In ihr wäre er Gott am allernächsten.
    Denn das war seine Heimat.

 
    Historische Nachbemerkung
     
     
     
    Das Barnabas-Evangelium –
    ein islamisches Buch über Jesus
     
    Der historische Jesus war um 30 n. Chr. von den Römern hingerichtet worden. Seine Anhänger hatten ihn als einen ganz besonderen Menschen erlebt. Und sie glaubten, dass er von den Toten wieder auferstanden ist. Der jüdische Gelehrte Saulus, ein Pharisäer, legte zu dieser Auffassung nach seiner Bekehrung zum Christentum das theologische Fundament, indem er das Christentum ideologisch vom Judentum löste und so eine Weltreligion schuf. Seine Schriften – die Paulus-Briefe – sind Bestandteil des Neuen Testaments.
    Überall im Römischen Reich wollten die Menschen, die davon überzeugt waren, dass Jesus ein außergewöhnlicher Mensch gewesen war, mehr über ihn erfahren. Ursprünglich galt die hebräische Bibel der Juden, das Alte Testament, auch als einziges heiliges Buch der Christen. Das änderte sich, als etwa 30 Jahre, nachdem Jesus hingerichtet worden war, griechische und jüdische Autoren – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – Berichte vom Leben Jesu in griechischer Sprache niederzuschreiben begannen. Man kann davon ausgehen, dass die Verfasser dieser so genannten Evangelien (das griechische Wort Evangelium heißt übersetzt »frohe Botschaft«) Jesus nicht persönlich gekannt, aber zumindest Zeitzeugen befragt haben. Sie berichten aber natürlich nicht als kritische Journalisten über Jesus, sondern als Gläubige.
    Man nimmt heute an, dass das Markus-Evangelium die älteste dieser frommen Lebensbeschreibungen ist. Auf dem Markus-Text – aber auch auf einer bisher noch nicht vorliegenden, so genannten Logienquelle
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